Papier: 03.03.01 Die Informationsfreiheit und ihre verfassungsrechtliche Verankerung in Deutschland und Europa
Originalversion
1 | Informationsfreiheit und der Zugang zu amtlichen |
2 | Informationen stehen seit einiger Zeit im Mittelpunkt |
3 | europäischer Reformbemühungen. Mit der Entwicklung hin zur |
4 | modernen Infor-mationsgesellschaft haben sie weiter stark an |
5 | Bedeutung gewonnen. Durch sie sollen die de-mokratischen |
6 | Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger gestärkt |
7 | werden. Denn unab-hängig von einer individuellen |
8 | Betroffenheit sind Sachkenntnisse entscheidende |
9 | Vorausset-zung für eine bessere Beteiligung der Bürgerinnen |
10 | und Bürger an staatlichen Entscheidungs-prozessen. |
11 | |
12 | Sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene |
13 | zeichnet sich weiterhin ein starker Trend hin zu mehr |
14 | Informationsfreiheit und zu einem offenen Zugang zu |
15 | amtlichen Informa-tionen ab. Auf gemeinschaftsrechtlicher |
16 | Ebene enthält bereits Art 42 der Grundrechte-Charta ein |
17 | Grundrecht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, |
18 | Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union. Daneben ist |
19 | in Art. 41 Abs. 2 lit. c) ein Grundrecht auf Gute Verwaltung |
20 | enthalten, welches auch ein Recht auf Akteneinsicht umfasst. |
21 | Transparenz und das Recht auf Zugang zu Dokumenten werden |
22 | zudem in Art. 1 Absatz 2 und Art. 15 Abs. 3 AEUV als |
23 | Grundsätze der Union niedergelegt. Art. 15 Abs. 3 AEUV |
24 | beinhaltet zugleich auch eine Rechtssetzungskompetenz der EU |
25 | für den Bereich der europäischen Organe, Einrichtungen oder |
26 | sonstigen Stellen. |
27 | |
28 | Zwischen den EU-Mitgliedstaaten bestehen jedoch starke |
29 | kulturelle Unterschiede. So weisen insbesondere die |
30 | nordischen Länder eine starke Tradition hinsichtlich des |
31 | Zugangs zu staatli-chen Informationen auf. [ Kai Schadtle, |
32 | Informationsfreiheit und Verwaltungstransparenz in Europa: |
33 | Das Recht auf Zugang zu Dokumenten aus den |
34 | EG-Mitgliedstaaten auf dem Prüf-stand, DÖV 2008, 455 (455) |
35 | m. w. N. und Ilias Sofotis, Europarechtliche und |
36 | verfassungs-rechtliche Vorgaben zum Recht auf |
37 | Informationszugang, VR 2010, 397 (398)] In den siebzi-ger |
38 | Jahren des vergangenen Jahrhunderts folgten dann Frankreich, |
39 | Spanien, Portugal und die Niederlande, die einen allgemeinen |
40 | Akteneinsichtsanspruch einführten. Großbritannien |
41 | [ebenda] oder auch Deutschland [ebenda] haben dagegen erst |
42 | vor wenigen Jahren Abstand vom Grundsatz der beschränkten |
43 | Aktenöffentlichkeit genommen. [ ebenda] Eine gemeinsame |
44 | Kultur der Informationsfreiheit konnte sich daher bisher |
45 | noch nicht vollständig etablieren. [ebenda] |
46 | |
47 | Die Europäische Menschenrechtskonvention enthält zwar kein |
48 | ausdrückliches Grundrecht auf Zugang zu amtlichen |
49 | Dokumenten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte |
50 | hat je-doch in einer Entscheidung vom 14. April 2009 [Urteil |
51 | des EGMR vom 14. April 2009 (Rechtssache TASZ gegen Ungarn); |
52 | Nr. 37374/05] grundsätzlich den Zugang zu amtlichen |
53 | Dokumenten als Folge von Art. 10 EMRK (Meinungs- und |
54 | Informationsfreiheit) anerkannt. Ein Verstoß gegen Art. 10 |
55 | EMRK liege vor, wenn öffentliche Organe über Informationen |
56 | verfügen würden, die für eine öffentliche Debatte |
57 | erforderlich sind und eine Ablehnung der Bereitstellung von |
58 | Dokumenten in dieser Angelegenheit an diejenigen, die Zugang |
59 | erbitten, erfolge. Gleichzeitig hat er ausgeführt, dass Art. |
60 | 10 EMRK dem einzelnen (…) kein Zugangs-recht zu einem |
61 | Register überträgt, welches Informationen über seine |
62 | persönliche Position ent-hält, es stellt auch keine |
63 | Verpflichtung für den Staat dar, derartige Informationen an |
64 | den ein-zelnen weiterzugeben. Zudem sei es schwierig, aus |
65 | der EMRK ein generelles Zugangsrecht zu Verwaltungsdaten und |
66 | Dokumenten abzuleiten. [ebenda] |
67 | |
68 | Auch auf der Ebene des Völkerrechts hat bereits vor einigen |
69 | Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Vorläufer war |
70 | die sog. Aarhus-Konvention über den Zugang zu Informationen, |
71 | die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten |
72 | in Umweltangelegenheiten. Sie sieht einerseits den auf |
73 | Antrag erfolgenden individuellen Zugang zu amtlichen |
74 | Informationen über die Umwelt vor, andererseits werden die |
75 | Vertragsstaaten aber auch zu der von Amts we-gen erfolgenden |
76 | Verbreitung von Informationen über die Umwelt verpflichtet. |
77 | [ Vgl. hierzu auch Friedrich Schoch, Informationsrecht in |
78 | einem grenzüberschreitenden und europäischen Kontext; EuZW |
79 | 2011, 388 (389)] |
80 | |
81 | Im allgemeinen Informationszugangsrecht stellt das |
82 | Übereinkommen des Europarats über den Zugang zu amtlichen |
83 | Dokumenten vom November 2008 einen Meilenstein dar. Nach der |
84 | in Art. 2 Abs. 1 normierten Grundregel garantiert jede |
85 | Vertragspartei jedem ohne jede Diskrimi-nierung das Recht, |
86 | auf seinen Antrag hin Zugang zu amtlichen Dokumenten im |
87 | Besitz staatli-cher Behörden zu erhalten. Das Abkommen haben |
88 | derzeit zwar bereits 14 Staaten unterzeich-net, umgesetzt |
89 | wurde es allerdings erst in 6 Staaten. Deutschland hat das |
90 | Übereinkommen bisher ebenfalls noch nicht gezeichnet und |
91 | auch nicht ratifiziert. Damit es in allen Staaten des |
92 | Europarates wirksam wird, sind mindestens 10 Ratifizierungen |
93 | erforderlich. [ebenda] |
94 | |
95 | Die OSZE hat vor kurzem konstatiert, dass das Recht auf |
96 | Zugang zu Informationen in Europa und Amerika als Grundrecht |
97 | angesehen werde. [OSCE, Comments on the draft law on |
98 | trans-parency, access to information and good governance of |
99 | Spain, April 2012, S. 2] |
100 | |
101 | Das Grundgesetz enthält in Art. 5 Abs.1 S. 1 das Grundrecht |
102 | auf Informationsfreiheit. Nach dessen Schutzbereich hat jede |
103 | Person das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen |
104 | ungehindert zu unterrichten. Dieses Recht soll die |
105 | (informierte) Meinungsbildung ermöglichen und stellt damit |
106 | die Grundlage für die Ausübung der in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. |
107 | 1 GG ver-ankerten Freiheit, seine Meinung zu äußern, dar. [ |
108 | BVerfG Urteil vom 05.08.1966 - 1 BvR 586/62, 1 BvR 610/63, 1 |
109 | BvR 512/64; BVerfGE 20, 162, 174 – „Spiegel-Urteil“.] Als |
110 | Grund-recht steht die Informationsfreiheit so gleichwertig |
111 | neben der Meinungs- und Pressefreiheit. |
112 | |
113 | Der historische Hintergrund der Informationsfreiheit im |
114 | Grundgesetz sind die nationalsozia-listischen |
115 | Informationsverbote und -beschränkungen etwa hinsichtlich |
116 | des Hörens ausländi-scher Rundfunksender. [ Marion Albers, |
117 | Grundlagen und Ausgestaltung der |
118 | Informationsfrei-heitsgesetze, ZJS 2009, 614 (616) m. w. N.] |
119 | Garantiert wird das Recht, sich ungehindert und somit frei |
120 | aus „allgemein zugänglichen Quellen“ zu informieren. Unter |
121 | „Information“ werden sowohl Meinungen als auch Tatsachen |
122 | verstanden. Eine Schlüsselposition nimmt auch der Begriff |
123 | der „allgemein zugänglichen Quellen“ ein. Er wird so |
124 | definiert, dass eine Quelle all-gemein zugänglich ist, wenn |
125 | sie tatsächlich geeignet und auch dazu bestimmt ist, einem |
126 | indi-viduell nicht begrenzten Personenkreis Informationen zu |
127 | verschaffen. |
128 | Neben der tatsächlichen Eignung setzt die |
129 | Allgemeinzugänglichkeit einer Quelle eine ent-sprechende |
130 | Bestimmung durch denjenigen voraus, der über die |
131 | Zugänglichkeit und über Art oder Modalitäten der |
132 | Zugangseröffnung entscheiden darf. Nach der Rechtsprechung |
133 | des Bundesverfassungsgerichts und des |
134 | Bundesverwaltungsgerichts ist das derjenige, der nach der |
135 | Rechtsordnung über ein entsprechendes Bestimmungsrecht |
136 | verfügt. Für den Staat ergeben sich einschlägige |
137 | Entscheidungskompetenzen in der Regel aus Vorschriften des |
138 | öffentlichen Rechts. |
139 | |
140 | Leitentscheidung für den Umfang des Grundrechts auf |
141 | Informationsfreiheit war die sog. n.tv-Entscheidung [ Urteil |
142 | des BVerfG vom 24.01.2001 - 1 BvR 2623/95, 1 BvR 622/99; |
143 | BVerf-GE 103,44 ff], in der das Bundesverfassungsgericht |
144 | umfassend zur Auslegung des Grund-rechts Stellung genommen |
145 | hat. Nach dieser Entscheidung, die vor Inkrafttreten des |
146 | Informa-tionsfreiheitsgesetzes ergangen ist, können sich |
147 | zwar nicht aus der Informationsfreiheit, aber aus |
148 | anderweitigen verfassungsrechtlichen Grundlagen staatliche |
149 | Verpflichtungen ergeben, eine allgemeine Zugänglichkeit |
150 | einer Informationsquelle herzustellen. Dies wirkt zudem auf |
151 | den objektiv- und individualrechtlichen Schutzumfang der |
152 | Informationsfreiheit zurück: |
153 | |
154 | „Das Grundrecht umfasst allerdings ein gegen den Staat |
155 | gerichtetes Recht auf Zugang in Fällen, in denen eine im |
156 | staatlichen Verantwortungsbereich liegende |
157 | Informations-quelle auf Grund rechtlicher Vorgaben zur |
158 | öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist, der Staat den |
159 | Zugang aber verweigert. […] Legt der Gesetzgeber die Art der |
160 | Zugäng-lichkeit von staatlichen Vorgängen und damit zugleich |
161 | das Ausmaß der Öffnung dieser Informationsquelle fest, so |
162 | wird in diesem Umfang zugleich der Schutzbereich der |
163 | In-formationsfreiheit eröffnet. […] Folgt […] aus |
164 | Verfassungsrecht, dass der Zugang als solcher weiter oder |
165 | gar unbeschränkt hätte eröffnet werden müssen, kann dies vom |
166 | Träger des Grundrechts der Informationsfreiheit […] geltend |
167 | gemacht werden.“ [Ebenda, BVerfGE 103, 44 (60)] |
168 | |
169 | Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG vermittelt dementsprechend |
170 | keinen Anspruch gegen den Staat auf voraussetzungslosen |
171 | Informationszugang oder Schaffung neuer Informationsquellen. |
172 | [ Urteil des VG Hamburg; Az.: 7 K 539/08, S. 11 m. w. N. |
173 | sowie Evaluationsbericht IFG; S. 51] Vielmehr ist die |
174 | Allgemeinzugänglichkeit einer Information allein anhand der |
175 | tatsächli-chen Lage zu bestimmen: Allgemein zugänglich ist |
176 | eine Informationsquelle, wenn sie geeignet und bestimmt ist, |
177 | der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren |
178 | Personenkreis, Informationen zu verschaffen. Über diese |
179 | Zugänglichkeit und die Art der Zugangseröffnung entscheidet |
180 | danach derjenige, der nach der Rechtsordnung über ein |
181 | entsprechendes Bestimmungsrecht verfügt. [ Urteil des VG |
182 | Hamburg; Az.: 7 K 539/08, S. 11 m. w. N. sowie |
183 | Evaluationsbericht IFG; S. 51 f.Ilias Sofotis, |
184 | Europarechtliche und verfassungsrechtliche Vorgaben zum |
185 | Recht auf Informationszugang, VR 2010, 397 (400) ] |
186 | |
187 | Da das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip mit dem |
188 | Transparenzprinzip verknüpft sind, ist dem Staat jedoch |
189 | zumindest dann die Pflicht zur Errichtung oder Initiierung |
190 | von Informati-onsquellen auferlegt, wenn auf andere Weise |
191 | eine möglichst objektive Information und damit die |
192 | Entstehung einer möglichst an den Tatsachen orientierten |
193 | Meinung nicht besteht. Schließlich gewähre das |
194 | Demokratieprinzip dem Volk gewisse Kontroll- und |
195 | Lenkungsfunk-tionen dem staatlichen Handeln gegenüber. Es |
196 | gäbe daher ein Publizitätsgebot des staatlichen Handelns. |
197 | Schließlich sei der gesicherte Zugang zu Informationen eine |
198 | zentrale Voraussetzung für die verantwortliche Bildung einer |
199 | eigenen Meinung. [FN folgt] Ein subjektives Recht könne |
200 | hieraus allerdings nicht hergeleitet werden. [FN folgt] |
201 | |
202 | In mehreren Kommentaren zu den Informationsfreiheitsgesetzen |
203 | wird [FN folgt] zudem die Auffassung vertreten, dass |
204 | einfachgesetzliche Zugangsansprüche wie die |
205 | Informationsfrei-heitsgesetze des Bundes und der Länder das |
206 | Grundrecht der Informationsfreiheit „aktivieren“. Das Recht |
207 | auf voraussetzungslosen Informationszugang zu amtlichen |
208 | Informationen wird insoweit als ein „Grundrecht aus der Hand |
209 | des einfachen Gesetzgebers“ gesehen. Von Bedeutung wird dies |
210 | bei den zahlreichen in den Informationsfreiheitsgesetzen |
211 | vorgesehenen Abwägungsprozesse sein. [Berger/Roth/Scheel, |
212 | Informationsfreiheitsgesetz, 2006, S. 54] Mit den |
213 | Informationsfreiheitsgesetzen wird das bisherige |
214 | Regel-Ausnahme-Verhältnis von beschränktem Amtsgeheimnis und |
215 | voraussetzungslosem Informationszugang umgekehrt. Dies hat |
216 | zur Folge, dass Behördenakten grundsätzlich als allgemein |
217 | zugängliche Quellen anzusehen sind und dass die Behörde die |
218 | Darlegungslast für Ausnahmen und Beschränkungen trifft und |
219 | somit nicht der Antragstellende, sondern die |
220 | zugangsverwehrende Verwaltung begründungspflichtig |
221 | ist.[Rossi, Informationsfreiheit und Verfassungsrecht, |
222 | Berlin 2004, S.220, Berger/Roth/Scheel, |
223 | Informationsfreiheitsgesetz, 2006, S. 54] |
224 | |
225 | Unter besonderen Umständen können sich auch aus anderen |
226 | Grundrechten Ansprüche auf ein staatliches Tätigwerden mit |
227 | dem Ziel der Sicherung der grundrechtlich geschützten |
228 | Rechtsgü-ter ergeben. [ Evaluationsbericht IFG; S. 51 f.] |
229 | Daher können Informationszugangsansprüche insoweit bestehen, |
230 | als diese zur Ermöglichung der grundrechtlich geschützten |
231 | Freiheit uner-lässlich sind. [ebenda] So gewährt das |
232 | Grundgesetz nach der Rechtsprechung des |
233 | Bundesver-fassungsgerichts sektoriell und in ihrer |
234 | Reichweite eng beschränkte Ansprüche auf Zugang zu amtlichen |
235 | Informationen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Art. |
236 | 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 (z. B. Recht auf Kenntnis |
237 | der eigenen Abstammung; Recht auf Einsicht in die |
238 | Kran-kenunterlagen), dem Recht auf informationelle |
239 | Selbstbestimmung Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG |
240 | (beschränkt auf Zugang zu Informationen zur eigenen Person). |
241 | Aber auch ein un-mittelbar aus der Berufsfreiheit des Art. |
242 | 12 Abs. 1 GG hergeleiteter Auskunftsanspruch ist in den |
243 | Fällen anerkannt, in denen eine behördliche Auskunft zum |
244 | Schutz der Berufsfreiheit uner-lässlich ist. [ebenda]Weiter |
245 | kann ein Anspruch auf Informationszugang auch aus dem |
246 | allge-meinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in |
247 | Verbindung mit einer ständigen Verwal-tungspraxis der |
248 | Behörde folgen. [ebenda] |
Der Text verglichen mit der Originalversion
1 | Informationsfreiheit und der Zugang zu amtlichen |
2 | Informationen stehen seit einiger Zeit im Mittelpunkt |
3 | europäischer Reformbemühungen. Mit der Entwicklung hin zur |
4 | modernen Infor-mationsgesellschaft haben sie weiter stark an |
5 | Bedeutung gewonnen. Durch sie sollen die de-mokratischen |
6 | Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger gestärkt |
7 | werden. Denn unab-hängig von einer individuellen |
8 | Betroffenheit sind Sachkenntnisse entscheidende |
9 | Vorausset-zung für eine bessere Beteiligung der Bürgerinnen |
10 | und Bürger an staatlichen Entscheidungs-prozessen. |
11 | |
12 | Sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene |
13 | zeichnet sich weiterhin ein starker Trend hin zu mehr |
14 | Informationsfreiheit und zu einem offenen Zugang zu |
15 | amtlichen Informa-tionen ab. Auf gemeinschaftsrechtlicher |
16 | Ebene enthält bereits Art 42 der Grundrechte-Charta ein |
17 | Grundrecht auf Zugang zu Dokumenten der Organe, |
18 | Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union. Daneben ist |
19 | in Art. 41 Abs. 2 lit. c) ein Grundrecht auf Gute Verwaltung |
20 | enthalten, welches auch ein Recht auf Akteneinsicht umfasst. |
21 | Transparenz und das Recht auf Zugang zu Dokumenten werden |
22 | zudem in Art. 1 Absatz 2 und Art. 15 Abs. 3 AEUV als |
23 | Grundsätze der Union niedergelegt. Art. 15 Abs. 3 AEUV |
24 | beinhaltet zugleich auch eine Rechtssetzungskompetenz der EU |
25 | für den Bereich der europäischen Organe, Einrichtungen oder |
26 | sonstigen Stellen. |
27 | |
28 | Zwischen den EU-Mitgliedstaaten bestehen jedoch starke |
29 | kulturelle Unterschiede. So weisen insbesondere die |
30 | nordischen Länder eine starke Tradition hinsichtlich des |
31 | Zugangs zu staatli-chen Informationen auf. [ Kai Schadtle, |
32 | Informationsfreiheit und Verwaltungstransparenz in Europa: |
33 | Das Recht auf Zugang zu Dokumenten aus den |
34 | EG-Mitgliedstaaten auf dem Prüf-stand, DÖV 2008, 455 (455) |
35 | m. w. N. und Ilias Sofotis, Europarechtliche und |
36 | verfassungs-rechtliche Vorgaben zum Recht auf |
37 | Informationszugang, VR 2010, 397 (398)] In den siebzi-ger |
38 | Jahren des vergangenen Jahrhunderts folgten dann Frankreich, |
39 | Spanien, Portugal und die Niederlande, die einen allgemeinen |
40 | Akteneinsichtsanspruch einführten. Großbritannien |
41 | [ebenda] oder auch Deutschland [ebenda] haben dagegen erst |
42 | vor wenigen Jahren Abstand vom Grundsatz der beschränkten |
43 | Aktenöffentlichkeit genommen. [ ebenda] Eine gemeinsame |
44 | Kultur der Informationsfreiheit konnte sich daher bisher |
45 | noch nicht vollständig etablieren. [ebenda] |
46 | |
47 | Die Europäische Menschenrechtskonvention enthält zwar kein |
48 | ausdrückliches Grundrecht auf Zugang zu amtlichen |
49 | Dokumenten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte |
50 | hat je-doch in einer Entscheidung vom 14. April 2009 [Urteil |
51 | des EGMR vom 14. April 2009 (Rechtssache TASZ gegen Ungarn); |
52 | Nr. 37374/05] grundsätzlich den Zugang zu amtlichen |
53 | Dokumenten als Folge von Art. 10 EMRK (Meinungs- und |
54 | Informationsfreiheit) anerkannt. Ein Verstoß gegen Art. 10 |
55 | EMRK liege vor, wenn öffentliche Organe über Informationen |
56 | verfügen würden, die für eine öffentliche Debatte |
57 | erforderlich sind und eine Ablehnung der Bereitstellung von |
58 | Dokumenten in dieser Angelegenheit an diejenigen, die Zugang |
59 | erbitten, erfolge. Gleichzeitig hat er ausgeführt, dass Art. |
60 | 10 EMRK dem einzelnen (…) kein Zugangs-recht zu einem |
61 | Register überträgt, welches Informationen über seine |
62 | persönliche Position ent-hält, es stellt auch keine |
63 | Verpflichtung für den Staat dar, derartige Informationen an |
64 | den ein-zelnen weiterzugeben. Zudem sei es schwierig, aus |
65 | der EMRK ein generelles Zugangsrecht zu Verwaltungsdaten und |
66 | Dokumenten abzuleiten. [ebenda] |
67 | |
68 | Auch auf der Ebene des Völkerrechts hat bereits vor einigen |
69 | Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Vorläufer war |
70 | die sog. Aarhus-Konvention über den Zugang zu Informationen, |
71 | die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten |
72 | in Umweltangelegenheiten. Sie sieht einerseits den auf |
73 | Antrag erfolgenden individuellen Zugang zu amtlichen |
74 | Informationen über die Umwelt vor, andererseits werden die |
75 | Vertragsstaaten aber auch zu der von Amts we-gen erfolgenden |
76 | Verbreitung von Informationen über die Umwelt verpflichtet. |
77 | [ Vgl. hierzu auch Friedrich Schoch, Informationsrecht in |
78 | einem grenzüberschreitenden und europäischen Kontext; EuZW |
79 | 2011, 388 (389)] |
80 | |
81 | Im allgemeinen Informationszugangsrecht stellt das |
82 | Übereinkommen des Europarats über den Zugang zu amtlichen |
83 | Dokumenten vom November 2008 einen Meilenstein dar. Nach der |
84 | in Art. 2 Abs. 1 normierten Grundregel garantiert jede |
85 | Vertragspartei jedem ohne jede Diskrimi-nierung das Recht, |
86 | auf seinen Antrag hin Zugang zu amtlichen Dokumenten im |
87 | Besitz staatli-cher Behörden zu erhalten. Das Abkommen haben |
88 | derzeit zwar bereits 14 Staaten unterzeich-net, umgesetzt |
89 | wurde es allerdings erst in 6 Staaten. Deutschland hat das |
90 | Übereinkommen bisher ebenfalls noch nicht gezeichnet und |
91 | auch nicht ratifiziert. Damit es in allen Staaten des |
92 | Europarates wirksam wird, sind mindestens 10 Ratifizierungen |
93 | erforderlich. [ebenda] |
94 | |
95 | Die OSZE hat vor kurzem konstatiert, dass das Recht auf |
96 | Zugang zu Informationen in Europa und Amerika als Grundrecht |
97 | angesehen werde. [OSCE, Comments on the draft law on |
98 | trans-parency, access to information and good governance of |
99 | Spain, April 2012, S. 2] |
100 | |
101 | Das Grundgesetz enthält in Art. 5 Abs.1 S. 1 das Grundrecht |
102 | auf Informationsfreiheit. Nach dessen Schutzbereich hat jede |
103 | Person das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen |
104 | ungehindert zu unterrichten. Dieses Recht soll die |
105 | (informierte) Meinungsbildung ermöglichen und stellt damit |
106 | die Grundlage für die Ausübung der in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs. |
107 | 1 GG ver-ankerten Freiheit, seine Meinung zu äußern, dar. [ |
108 | BVerfG Urteil vom 05.08.1966 - 1 BvR 586/62, 1 BvR 610/63, 1 |
109 | BvR 512/64; BVerfGE 20, 162, 174 – „Spiegel-Urteil“.] Als |
110 | Grund-recht steht die Informationsfreiheit so gleichwertig |
111 | neben der Meinungs- und Pressefreiheit. |
112 | |
113 | Der historische Hintergrund der Informationsfreiheit im |
114 | Grundgesetz sind die nationalsozia-listischen |
115 | Informationsverbote und -beschränkungen etwa hinsichtlich |
116 | des Hörens ausländi-scher Rundfunksender. [ Marion Albers, |
117 | Grundlagen und Ausgestaltung der |
118 | Informationsfrei-heitsgesetze, ZJS 2009, 614 (616) m. w. N.] |
119 | Garantiert wird das Recht, sich ungehindert und somit frei |
120 | aus „allgemein zugänglichen Quellen“ zu informieren. Unter |
121 | „Information“ werden sowohl Meinungen als auch Tatsachen |
122 | verstanden. Eine Schlüsselposition nimmt auch der Begriff |
123 | der „allgemein zugänglichen Quellen“ ein. Er wird so |
124 | definiert, dass eine Quelle all-gemein zugänglich ist, wenn |
125 | sie tatsächlich geeignet und auch dazu bestimmt ist, einem |
126 | indi-viduell nicht begrenzten Personenkreis Informationen zu |
127 | verschaffen. |
128 | Neben der tatsächlichen Eignung setzt die |
129 | Allgemeinzugänglichkeit einer Quelle eine ent-sprechende |
130 | Bestimmung durch denjenigen voraus, der über die |
131 | Zugänglichkeit und über Art oder Modalitäten der |
132 | Zugangseröffnung entscheiden darf. Nach der Rechtsprechung |
133 | des Bundesverfassungsgerichts und des |
134 | Bundesverwaltungsgerichts ist das derjenige, der nach der |
135 | Rechtsordnung über ein entsprechendes Bestimmungsrecht |
136 | verfügt. Für den Staat ergeben sich einschlägige |
137 | Entscheidungskompetenzen in der Regel aus Vorschriften des |
138 | öffentlichen Rechts. |
139 | |
140 | Leitentscheidung für den Umfang des Grundrechts auf |
141 | Informationsfreiheit war die sog. n.tv-Entscheidung [ Urteil |
142 | des BVerfG vom 24.01.2001 - 1 BvR 2623/95, 1 BvR 622/99; |
143 | BVerf-GE 103,44 ff], in der das Bundesverfassungsgericht |
144 | umfassend zur Auslegung des Grund-rechts Stellung genommen |
145 | hat. Nach dieser Entscheidung, die vor Inkrafttreten des |
146 | Informa-tionsfreiheitsgesetzes ergangen ist, können sich |
147 | zwar nicht aus der Informationsfreiheit, aber aus |
148 | anderweitigen verfassungsrechtlichen Grundlagen staatliche |
149 | Verpflichtungen ergeben, eine allgemeine Zugänglichkeit |
150 | einer Informationsquelle herzustellen. Dies wirkt zudem auf |
151 | den objektiv- und individualrechtlichen Schutzumfang der |
152 | Informationsfreiheit zurück: |
153 | |
154 | „Das Grundrecht umfasst allerdings ein gegen den Staat |
155 | gerichtetes Recht auf Zugang in Fällen, in denen eine im |
156 | staatlichen Verantwortungsbereich liegende |
157 | Informations-quelle auf Grund rechtlicher Vorgaben zur |
158 | öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist, der Staat den |
159 | Zugang aber verweigert. […] Legt der Gesetzgeber die Art der |
160 | Zugäng-lichkeit von staatlichen Vorgängen und damit zugleich |
161 | das Ausmaß der Öffnung dieser Informationsquelle fest, so |
162 | wird in diesem Umfang zugleich der Schutzbereich der |
163 | In-formationsfreiheit eröffnet. […] Folgt […] aus |
164 | Verfassungsrecht, dass der Zugang als solcher weiter oder |
165 | gar unbeschränkt hätte eröffnet werden müssen, kann dies vom |
166 | Träger des Grundrechts der Informationsfreiheit […] geltend |
167 | gemacht werden.“ [Ebenda, BVerfGE 103, 44 (60)] |
168 | |
169 | Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG vermittelt dementsprechend |
170 | keinen Anspruch gegen den Staat auf voraussetzungslosen |
171 | Informationszugang oder Schaffung neuer Informationsquellen. |
172 | [ Urteil des VG Hamburg; Az.: 7 K 539/08, S. 11 m. w. N. |
173 | sowie Evaluationsbericht IFG; S. 51] Vielmehr ist die |
174 | Allgemeinzugänglichkeit einer Information allein anhand der |
175 | tatsächli-chen Lage zu bestimmen: Allgemein zugänglich ist |
176 | eine Informationsquelle, wenn sie geeignet und bestimmt ist, |
177 | der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren |
178 | Personenkreis, Informationen zu verschaffen. Über diese |
179 | Zugänglichkeit und die Art der Zugangseröffnung entscheidet |
180 | danach derjenige, der nach der Rechtsordnung über ein |
181 | entsprechendes Bestimmungsrecht verfügt. [ Urteil des VG |
182 | Hamburg; Az.: 7 K 539/08, S. 11 m. w. N. sowie |
183 | Evaluationsbericht IFG; S. 51 f.Ilias Sofotis, |
184 | Europarechtliche und verfassungsrechtliche Vorgaben zum |
185 | Recht auf Informationszugang, VR 2010, 397 (400) ] |
186 | |
187 | Da das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip mit dem |
188 | Transparenzprinzip verknüpft sind, ist dem Staat jedoch |
189 | zumindest dann die Pflicht zur Errichtung oder Initiierung |
190 | von Informati-onsquellen auferlegt, wenn auf andere Weise |
191 | eine möglichst objektive Information und damit die |
192 | Entstehung einer möglichst an den Tatsachen orientierten |
193 | Meinung nicht besteht. Schließlich gewähre das |
194 | Demokratieprinzip dem Volk gewisse Kontroll- und |
195 | Lenkungsfunk-tionen dem staatlichen Handeln gegenüber. Es |
196 | gäbe daher ein Publizitätsgebot des staatlichen Handelns. |
197 | Schließlich sei der gesicherte Zugang zu Informationen eine |
198 | zentrale Voraussetzung für die verantwortliche Bildung einer |
199 | eigenen Meinung. [FN folgt] Ein subjektives Recht könne |
200 | hieraus allerdings nicht hergeleitet werden. [FN folgt] |
201 | |
202 | In mehreren Kommentaren zu den Informationsfreiheitsgesetzen |
203 | wird [FN folgt] zudem die Auffassung vertreten, dass |
204 | einfachgesetzliche Zugangsansprüche wie die |
205 | Informationsfrei-heitsgesetze des Bundes und der Länder das |
206 | Grundrecht der Informationsfreiheit „aktivieren“. Das Recht |
207 | auf voraussetzungslosen Informationszugang zu amtlichen |
208 | Informationen wird insoweit als ein „Grundrecht aus der Hand |
209 | des einfachen Gesetzgebers“ gesehen. Von Bedeutung wird dies |
210 | bei den zahlreichen in den Informationsfreiheitsgesetzen |
211 | vorgesehenen Abwägungsprozesse sein. [Berger/Roth/Scheel, |
212 | Informationsfreiheitsgesetz, 2006, S. 54] Mit den |
213 | Informationsfreiheitsgesetzen wird das bisherige |
214 | Regel-Ausnahme-Verhältnis von beschränktem Amtsgeheimnis und |
215 | voraussetzungslosem Informationszugang umgekehrt. Dies hat |
216 | zur Folge, dass Behördenakten grundsätzlich als allgemein |
217 | zugängliche Quellen anzusehen sind und dass die Behörde die |
218 | Darlegungslast für Ausnahmen und Beschränkungen trifft und |
219 | somit nicht der Antragstellende, sondern die |
220 | zugangsverwehrende Verwaltung begründungspflichtig |
221 | ist.[Rossi, Informationsfreiheit und Verfassungsrecht, |
222 | Berlin 2004, S.220, Berger/Roth/Scheel, |
223 | Informationsfreiheitsgesetz, 2006, S. 54] |
224 | |
225 | Unter besonderen Umständen können sich auch aus anderen |
226 | Grundrechten Ansprüche auf ein staatliches Tätigwerden mit |
227 | dem Ziel der Sicherung der grundrechtlich geschützten |
228 | Rechtsgü-ter ergeben. [ Evaluationsbericht IFG; S. 51 f.] |
229 | Daher können Informationszugangsansprüche insoweit bestehen, |
230 | als diese zur Ermöglichung der grundrechtlich geschützten |
231 | Freiheit uner-lässlich sind. [ebenda] So gewährt das |
232 | Grundgesetz nach der Rechtsprechung des |
233 | Bundesver-fassungsgerichts sektoriell und in ihrer |
234 | Reichweite eng beschränkte Ansprüche auf Zugang zu amtlichen |
235 | Informationen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Art. |
236 | 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 (z. B. Recht auf Kenntnis |
237 | der eigenen Abstammung; Recht auf Einsicht in die |
238 | Kran-kenunterlagen), dem Recht auf informationelle |
239 | Selbstbestimmung Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG |
240 | (beschränkt auf Zugang zu Informationen zur eigenen Person). |
241 | Aber auch ein un-mittelbar aus der Berufsfreiheit des Art. |
242 | 12 Abs. 1 GG hergeleiteter Auskunftsanspruch ist in den |
243 | Fällen anerkannt, in denen eine behördliche Auskunft zum |
244 | Schutz der Berufsfreiheit uner-lässlich ist. [ebenda]Weiter |
245 | kann ein Anspruch auf Informationszugang auch aus dem |
246 | allge-meinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in |
247 | Verbindung mit einer ständigen Verwal-tungspraxis der |
248 | Behörde folgen. [ebenda] |
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