Papier: 03.03.01 Die Informationsfreiheit und ihre verfassungsrechtliche Verankerung in Deutschland und Europa

Originalversion

1 Informationsfreiheit und der Zugang zu amtlichen
2 Informationen stehen seit einiger Zeit im Mittelpunkt
3 europäischer Reformbemühungen. Mit der Entwicklung hin zur
4 modernen Infor-mationsgesellschaft haben sie weiter stark an
5 Bedeutung gewonnen. Durch sie sollen die de-mokratischen
6 Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger gestärkt
7 werden. Denn unab-hängig von einer individuellen
8 Betroffenheit sind Sachkenntnisse entscheidende
9 Vorausset-zung für eine bessere Beteiligung der Bürgerinnen
10 und Bürger an staatlichen Entscheidungs-prozessen.
11
12 Sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene
13 zeichnet sich weiterhin ein starker Trend hin zu mehr
14 Informationsfreiheit und zu einem offenen Zugang zu
15 amtlichen Informa-tionen ab. Auf gemeinschaftsrechtlicher
16 Ebene enthält bereits Art 42 der Grundrechte-Charta ein
17 Grundrecht auf Zugang zu Dokumenten der Organe,
18 Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union. Daneben ist
19 in Art. 41 Abs. 2 lit. c) ein Grundrecht auf Gute Verwaltung
20 enthalten, welches auch ein Recht auf Akteneinsicht umfasst.
21 Transparenz und das Recht auf Zugang zu Dokumenten werden
22 zudem in Art. 1 Absatz 2 und Art. 15 Abs. 3 AEUV als
23 Grundsätze der Union niedergelegt. Art. 15 Abs. 3 AEUV
24 beinhaltet zugleich auch eine Rechtssetzungskompetenz der EU
25 für den Bereich der europäischen Organe, Einrichtungen oder
26 sonstigen Stellen.
27
28 Zwischen den EU-Mitgliedstaaten bestehen jedoch starke
29 kulturelle Unterschiede. So weisen insbesondere die
30 nordischen Länder eine starke Tradition hinsichtlich des
31 Zugangs zu staatli-chen Informationen auf. [ Kai Schadtle,
32 Informationsfreiheit und Verwaltungstransparenz in Europa:
33 Das Recht auf Zugang zu Dokumenten aus den
34 EG-Mitgliedstaaten auf dem Prüf-stand, DÖV 2008, 455 (455)
35 m. w. N. und Ilias Sofotis, Europarechtliche und
36 verfassungs-rechtliche Vorgaben zum Recht auf
37 Informationszugang, VR 2010, 397 (398)] In den siebzi-ger
38 Jahren des vergangenen Jahrhunderts folgten dann Frankreich,
39 Spanien, Portugal und die Niederlande, die einen allgemeinen
40 Akteneinsichtsanspruch einführten. Großbritannien
41 [ebenda] oder auch Deutschland [ebenda] haben dagegen erst
42 vor wenigen Jahren Abstand vom Grundsatz der beschränkten
43 Aktenöffentlichkeit genommen. [ ebenda] Eine gemeinsame
44 Kultur der Informationsfreiheit konnte sich daher bisher
45 noch nicht vollständig etablieren. [ebenda]
46
47 Die Europäische Menschenrechtskonvention enthält zwar kein
48 ausdrückliches Grundrecht auf Zugang zu amtlichen
49 Dokumenten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
50 hat je-doch in einer Entscheidung vom 14. April 2009 [Urteil
51 des EGMR vom 14. April 2009 (Rechtssache TASZ gegen Ungarn);
52 Nr. 37374/05] grundsätzlich den Zugang zu amtlichen
53 Dokumenten als Folge von Art. 10 EMRK (Meinungs- und
54 Informationsfreiheit) anerkannt. Ein Verstoß gegen Art. 10
55 EMRK liege vor, wenn öffentliche Organe über Informationen
56 verfügen würden, die für eine öffentliche Debatte
57 erforderlich sind und eine Ablehnung der Bereitstellung von
58 Dokumenten in dieser Angelegenheit an diejenigen, die Zugang
59 erbitten, erfolge. Gleichzeitig hat er ausgeführt, dass Art.
60 10 EMRK dem einzelnen (…) kein Zugangs-recht zu einem
61 Register überträgt, welches Informationen über seine
62 persönliche Position ent-hält, es stellt auch keine
63 Verpflichtung für den Staat dar, derartige Informationen an
64 den ein-zelnen weiterzugeben. Zudem sei es schwierig, aus
65 der EMRK ein generelles Zugangsrecht zu Verwaltungsdaten und
66 Dokumenten abzuleiten. [ebenda]
67
68 Auch auf der Ebene des Völkerrechts hat bereits vor einigen
69 Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Vorläufer war
70 die sog. Aarhus-Konvention über den Zugang zu Informationen,
71 die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten
72 in Umweltangelegenheiten. Sie sieht einerseits den auf
73 Antrag erfolgenden individuellen Zugang zu amtlichen
74 Informationen über die Umwelt vor, andererseits werden die
75 Vertragsstaaten aber auch zu der von Amts we-gen erfolgenden
76 Verbreitung von Informationen über die Umwelt verpflichtet.
77 [ Vgl. hierzu auch Friedrich Schoch, Informationsrecht in
78 einem grenzüberschreitenden und europäischen Kontext; EuZW
79 2011, 388 (389)]
80
81 Im allgemeinen Informationszugangsrecht stellt das
82 Übereinkommen des Europarats über den Zugang zu amtlichen
83 Dokumenten vom November 2008 einen Meilenstein dar. Nach der
84 in Art. 2 Abs. 1 normierten Grundregel garantiert jede
85 Vertragspartei jedem ohne jede Diskrimi-nierung das Recht,
86 auf seinen Antrag hin Zugang zu amtlichen Dokumenten im
87 Besitz staatli-cher Behörden zu erhalten. Das Abkommen haben
88 derzeit zwar bereits 14 Staaten unterzeich-net, umgesetzt
89 wurde es allerdings erst in 6 Staaten. Deutschland hat das
90 Übereinkommen bisher ebenfalls noch nicht gezeichnet und
91 auch nicht ratifiziert. Damit es in allen Staaten des
92 Europarates wirksam wird, sind mindestens 10 Ratifizierungen
93 erforderlich. [ebenda]
94
95 Die OSZE hat vor kurzem konstatiert, dass das Recht auf
96 Zugang zu Informationen in Europa und Amerika als Grundrecht
97 angesehen werde. [OSCE, Comments on the draft law on
98 trans-parency, access to information and good governance of
99 Spain, April 2012, S. 2]
100
101 Das Grundgesetz enthält in Art. 5 Abs.1 S. 1 das Grundrecht
102 auf Informationsfreiheit. Nach dessen Schutzbereich hat jede
103 Person das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen
104 ungehindert zu unterrichten. Dieses Recht soll die
105 (informierte) Meinungsbildung ermöglichen und stellt damit
106 die Grundlage für die Ausübung der in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs.
107 1 GG ver-ankerten Freiheit, seine Meinung zu äußern, dar. [
108 BVerfG Urteil vom 05.08.1966 - 1 BvR 586/62, 1 BvR 610/63, 1
109 BvR 512/64; BVerfGE 20, 162, 174 – „Spiegel-Urteil“.] Als
110 Grund-recht steht die Informationsfreiheit so gleichwertig
111 neben der Meinungs- und Pressefreiheit.
112
113 Der historische Hintergrund der Informationsfreiheit im
114 Grundgesetz sind die nationalsozia-listischen
115 Informationsverbote und -beschränkungen etwa hinsichtlich
116 des Hörens ausländi-scher Rundfunksender. [ Marion Albers,
117 Grundlagen und Ausgestaltung der
118 Informationsfrei-heitsgesetze, ZJS 2009, 614 (616) m. w. N.]
119 Garantiert wird das Recht, sich ungehindert und somit frei
120 aus „allgemein zugänglichen Quellen“ zu informieren. Unter
121 „Information“ werden sowohl Meinungen als auch Tatsachen
122 verstanden. Eine Schlüsselposition nimmt auch der Begriff
123 der „allgemein zugänglichen Quellen“ ein. Er wird so
124 definiert, dass eine Quelle all-gemein zugänglich ist, wenn
125 sie tatsächlich geeignet und auch dazu bestimmt ist, einem
126 indi-viduell nicht begrenzten Personenkreis Informationen zu
127 verschaffen.
128 Neben der tatsächlichen Eignung setzt die
129 Allgemeinzugänglichkeit einer Quelle eine ent-sprechende
130 Bestimmung durch denjenigen voraus, der über die
131 Zugänglichkeit und über Art oder Modalitäten der
132 Zugangseröffnung entscheiden darf. Nach der Rechtsprechung
133 des Bundesverfassungsgerichts und des
134 Bundesverwaltungsgerichts ist das derjenige, der nach der
135 Rechtsordnung über ein entsprechendes Bestimmungsrecht
136 verfügt. Für den Staat ergeben sich einschlägige
137 Entscheidungskompetenzen in der Regel aus Vorschriften des
138 öffentlichen Rechts.
139
140 Leitentscheidung für den Umfang des Grundrechts auf
141 Informationsfreiheit war die sog. n.tv-Entscheidung [ Urteil
142 des BVerfG vom 24.01.2001 - 1 BvR 2623/95, 1 BvR 622/99;
143 BVerf-GE 103,44 ff], in der das Bundesverfassungsgericht
144 umfassend zur Auslegung des Grund-rechts Stellung genommen
145 hat. Nach dieser Entscheidung, die vor Inkrafttreten des
146 Informa-tionsfreiheitsgesetzes ergangen ist, können sich
147 zwar nicht aus der Informationsfreiheit, aber aus
148 anderweitigen verfassungsrechtlichen Grundlagen staatliche
149 Verpflichtungen ergeben, eine allgemeine Zugänglichkeit
150 einer Informationsquelle herzustellen. Dies wirkt zudem auf
151 den objektiv- und individualrechtlichen Schutzumfang der
152 Informationsfreiheit zurück:
153
154 „Das Grundrecht umfasst allerdings ein gegen den Staat
155 gerichtetes Recht auf Zugang in Fällen, in denen eine im
156 staatlichen Verantwortungsbereich liegende
157 Informations-quelle auf Grund rechtlicher Vorgaben zur
158 öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist, der Staat den
159 Zugang aber verweigert. […] Legt der Gesetzgeber die Art der
160 Zugäng-lichkeit von staatlichen Vorgängen und damit zugleich
161 das Ausmaß der Öffnung dieser Informationsquelle fest, so
162 wird in diesem Umfang zugleich der Schutzbereich der
163 In-formationsfreiheit eröffnet. […] Folgt […] aus
164 Verfassungsrecht, dass der Zugang als solcher weiter oder
165 gar unbeschränkt hätte eröffnet werden müssen, kann dies vom
166 Träger des Grundrechts der Informationsfreiheit […] geltend
167 gemacht werden.“ [Ebenda, BVerfGE 103, 44 (60)]
168
169 Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG vermittelt dementsprechend
170 keinen Anspruch gegen den Staat auf voraussetzungslosen
171 Informationszugang oder Schaffung neuer Informationsquellen.
172 [ Urteil des VG Hamburg; Az.: 7 K 539/08, S. 11 m. w. N.
173 sowie Evaluationsbericht IFG; S. 51] Vielmehr ist die
174 Allgemeinzugänglichkeit einer Information allein anhand der
175 tatsächli-chen Lage zu bestimmen: Allgemein zugänglich ist
176 eine Informationsquelle, wenn sie geeignet und bestimmt ist,
177 der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren
178 Personenkreis, Informationen zu verschaffen. Über diese
179 Zugänglichkeit und die Art der Zugangseröffnung entscheidet
180 danach derjenige, der nach der Rechtsordnung über ein
181 entsprechendes Bestimmungsrecht verfügt. [ Urteil des VG
182 Hamburg; Az.: 7 K 539/08, S. 11 m. w. N. sowie
183 Evaluationsbericht IFG; S. 51 f.Ilias Sofotis,
184 Europarechtliche und verfassungsrechtliche Vorgaben zum
185 Recht auf Informationszugang, VR 2010, 397 (400) ]
186
187 Da das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip mit dem
188 Transparenzprinzip verknüpft sind, ist dem Staat jedoch
189 zumindest dann die Pflicht zur Errichtung oder Initiierung
190 von Informati-onsquellen auferlegt, wenn auf andere Weise
191 eine möglichst objektive Information und damit die
192 Entstehung einer möglichst an den Tatsachen orientierten
193 Meinung nicht besteht. Schließlich gewähre das
194 Demokratieprinzip dem Volk gewisse Kontroll- und
195 Lenkungsfunk-tionen dem staatlichen Handeln gegenüber. Es
196 gäbe daher ein Publizitätsgebot des staatlichen Handelns.
197 Schließlich sei der gesicherte Zugang zu Informationen eine
198 zentrale Voraussetzung für die verantwortliche Bildung einer
199 eigenen Meinung. [FN folgt] Ein subjektives Recht könne
200 hieraus allerdings nicht hergeleitet werden. [FN folgt]
201
202 In mehreren Kommentaren zu den Informationsfreiheitsgesetzen
203 wird [FN folgt] zudem die Auffassung vertreten, dass
204 einfachgesetzliche Zugangsansprüche wie die
205 Informationsfrei-heitsgesetze des Bundes und der Länder das
206 Grundrecht der Informationsfreiheit „aktivieren“. Das Recht
207 auf voraussetzungslosen Informationszugang zu amtlichen
208 Informationen wird insoweit als ein „Grundrecht aus der Hand
209 des einfachen Gesetzgebers“ gesehen. Von Bedeutung wird dies
210 bei den zahlreichen in den Informationsfreiheitsgesetzen
211 vorgesehenen Abwägungsprozesse sein. [Berger/Roth/Scheel,
212 Informationsfreiheitsgesetz, 2006, S. 54] Mit den
213 Informationsfreiheitsgesetzen wird das bisherige
214 Regel-Ausnahme-Verhältnis von beschränktem Amtsgeheimnis und
215 voraussetzungslosem Informationszugang umgekehrt. Dies hat
216 zur Folge, dass Behördenakten grundsätzlich als allgemein
217 zugängliche Quellen anzusehen sind und dass die Behörde die
218 Darlegungslast für Ausnahmen und Beschränkungen trifft und
219 somit nicht der Antragstellende, sondern die
220 zugangsverwehrende Verwaltung begründungspflichtig
221 ist.[Rossi, Informationsfreiheit und Verfassungsrecht,
222 Berlin 2004, S.220, Berger/Roth/Scheel,
223 Informationsfreiheitsgesetz, 2006, S. 54]
224
225 Unter besonderen Umständen können sich auch aus anderen
226 Grundrechten Ansprüche auf ein staatliches Tätigwerden mit
227 dem Ziel der Sicherung der grundrechtlich geschützten
228 Rechtsgü-ter ergeben. [ Evaluationsbericht IFG; S. 51 f.]
229 Daher können Informationszugangsansprüche insoweit bestehen,
230 als diese zur Ermöglichung der grundrechtlich geschützten
231 Freiheit uner-lässlich sind. [ebenda] So gewährt das
232 Grundgesetz nach der Rechtsprechung des
233 Bundesver-fassungsgerichts sektoriell und in ihrer
234 Reichweite eng beschränkte Ansprüche auf Zugang zu amtlichen
235 Informationen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Art.
236 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 (z. B. Recht auf Kenntnis
237 der eigenen Abstammung; Recht auf Einsicht in die
238 Kran-kenunterlagen), dem Recht auf informationelle
239 Selbstbestimmung Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG
240 (beschränkt auf Zugang zu Informationen zur eigenen Person).
241 Aber auch ein un-mittelbar aus der Berufsfreiheit des Art.
242 12 Abs. 1 GG hergeleiteter Auskunftsanspruch ist in den
243 Fällen anerkannt, in denen eine behördliche Auskunft zum
244 Schutz der Berufsfreiheit uner-lässlich ist. [ebenda]Weiter
245 kann ein Anspruch auf Informationszugang auch aus dem
246 allge-meinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in
247 Verbindung mit einer ständigen Verwal-tungspraxis der
248 Behörde folgen. [ebenda]

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 Informationsfreiheit und der Zugang zu amtlichen
2 Informationen stehen seit einiger Zeit im Mittelpunkt
3 europäischer Reformbemühungen. Mit der Entwicklung hin zur
4 modernen Infor-mationsgesellschaft haben sie weiter stark an
5 Bedeutung gewonnen. Durch sie sollen die de-mokratischen
6 Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger gestärkt
7 werden. Denn unab-hängig von einer individuellen
8 Betroffenheit sind Sachkenntnisse entscheidende
9 Vorausset-zung für eine bessere Beteiligung der Bürgerinnen
10 und Bürger an staatlichen Entscheidungs-prozessen.
11
12 Sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene
13 zeichnet sich weiterhin ein starker Trend hin zu mehr
14 Informationsfreiheit und zu einem offenen Zugang zu
15 amtlichen Informa-tionen ab. Auf gemeinschaftsrechtlicher
16 Ebene enthält bereits Art 42 der Grundrechte-Charta ein
17 Grundrecht auf Zugang zu Dokumenten der Organe,
18 Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union. Daneben ist
19 in Art. 41 Abs. 2 lit. c) ein Grundrecht auf Gute Verwaltung
20 enthalten, welches auch ein Recht auf Akteneinsicht umfasst.
21 Transparenz und das Recht auf Zugang zu Dokumenten werden
22 zudem in Art. 1 Absatz 2 und Art. 15 Abs. 3 AEUV als
23 Grundsätze der Union niedergelegt. Art. 15 Abs. 3 AEUV
24 beinhaltet zugleich auch eine Rechtssetzungskompetenz der EU
25 für den Bereich der europäischen Organe, Einrichtungen oder
26 sonstigen Stellen.
27
28 Zwischen den EU-Mitgliedstaaten bestehen jedoch starke
29 kulturelle Unterschiede. So weisen insbesondere die
30 nordischen Länder eine starke Tradition hinsichtlich des
31 Zugangs zu staatli-chen Informationen auf. [ Kai Schadtle,
32 Informationsfreiheit und Verwaltungstransparenz in Europa:
33 Das Recht auf Zugang zu Dokumenten aus den
34 EG-Mitgliedstaaten auf dem Prüf-stand, DÖV 2008, 455 (455)
35 m. w. N. und Ilias Sofotis, Europarechtliche und
36 verfassungs-rechtliche Vorgaben zum Recht auf
37 Informationszugang, VR 2010, 397 (398)] In den siebzi-ger
38 Jahren des vergangenen Jahrhunderts folgten dann Frankreich,
39 Spanien, Portugal und die Niederlande, die einen allgemeinen
40 Akteneinsichtsanspruch einführten. Großbritannien
41 [ebenda] oder auch Deutschland [ebenda] haben dagegen erst
42 vor wenigen Jahren Abstand vom Grundsatz der beschränkten
43 Aktenöffentlichkeit genommen. [ ebenda] Eine gemeinsame
44 Kultur der Informationsfreiheit konnte sich daher bisher
45 noch nicht vollständig etablieren. [ebenda]
46
47 Die Europäische Menschenrechtskonvention enthält zwar kein
48 ausdrückliches Grundrecht auf Zugang zu amtlichen
49 Dokumenten. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
50 hat je-doch in einer Entscheidung vom 14. April 2009 [Urteil
51 des EGMR vom 14. April 2009 (Rechtssache TASZ gegen Ungarn);
52 Nr. 37374/05] grundsätzlich den Zugang zu amtlichen
53 Dokumenten als Folge von Art. 10 EMRK (Meinungs- und
54 Informationsfreiheit) anerkannt. Ein Verstoß gegen Art. 10
55 EMRK liege vor, wenn öffentliche Organe über Informationen
56 verfügen würden, die für eine öffentliche Debatte
57 erforderlich sind und eine Ablehnung der Bereitstellung von
58 Dokumenten in dieser Angelegenheit an diejenigen, die Zugang
59 erbitten, erfolge. Gleichzeitig hat er ausgeführt, dass Art.
60 10 EMRK dem einzelnen (…) kein Zugangs-recht zu einem
61 Register überträgt, welches Informationen über seine
62 persönliche Position ent-hält, es stellt auch keine
63 Verpflichtung für den Staat dar, derartige Informationen an
64 den ein-zelnen weiterzugeben. Zudem sei es schwierig, aus
65 der EMRK ein generelles Zugangsrecht zu Verwaltungsdaten und
66 Dokumenten abzuleiten. [ebenda]
67
68 Auch auf der Ebene des Völkerrechts hat bereits vor einigen
69 Jahren ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Vorläufer war
70 die sog. Aarhus-Konvention über den Zugang zu Informationen,
71 die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten
72 in Umweltangelegenheiten. Sie sieht einerseits den auf
73 Antrag erfolgenden individuellen Zugang zu amtlichen
74 Informationen über die Umwelt vor, andererseits werden die
75 Vertragsstaaten aber auch zu der von Amts we-gen erfolgenden
76 Verbreitung von Informationen über die Umwelt verpflichtet.
77 [ Vgl. hierzu auch Friedrich Schoch, Informationsrecht in
78 einem grenzüberschreitenden und europäischen Kontext; EuZW
79 2011, 388 (389)]
80
81 Im allgemeinen Informationszugangsrecht stellt das
82 Übereinkommen des Europarats über den Zugang zu amtlichen
83 Dokumenten vom November 2008 einen Meilenstein dar. Nach der
84 in Art. 2 Abs. 1 normierten Grundregel garantiert jede
85 Vertragspartei jedem ohne jede Diskrimi-nierung das Recht,
86 auf seinen Antrag hin Zugang zu amtlichen Dokumenten im
87 Besitz staatli-cher Behörden zu erhalten. Das Abkommen haben
88 derzeit zwar bereits 14 Staaten unterzeich-net, umgesetzt
89 wurde es allerdings erst in 6 Staaten. Deutschland hat das
90 Übereinkommen bisher ebenfalls noch nicht gezeichnet und
91 auch nicht ratifiziert. Damit es in allen Staaten des
92 Europarates wirksam wird, sind mindestens 10 Ratifizierungen
93 erforderlich. [ebenda]
94
95 Die OSZE hat vor kurzem konstatiert, dass das Recht auf
96 Zugang zu Informationen in Europa und Amerika als Grundrecht
97 angesehen werde. [OSCE, Comments on the draft law on
98 trans-parency, access to information and good governance of
99 Spain, April 2012, S. 2]
100
101 Das Grundgesetz enthält in Art. 5 Abs.1 S. 1 das Grundrecht
102 auf Informationsfreiheit. Nach dessen Schutzbereich hat jede
103 Person das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen
104 ungehindert zu unterrichten. Dieses Recht soll die
105 (informierte) Meinungsbildung ermöglichen und stellt damit
106 die Grundlage für die Ausübung der in Art. 5 Abs. 1 S. 1 Hs.
107 1 GG ver-ankerten Freiheit, seine Meinung zu äußern, dar. [
108 BVerfG Urteil vom 05.08.1966 - 1 BvR 586/62, 1 BvR 610/63, 1
109 BvR 512/64; BVerfGE 20, 162, 174 – „Spiegel-Urteil“.] Als
110 Grund-recht steht die Informationsfreiheit so gleichwertig
111 neben der Meinungs- und Pressefreiheit.
112
113 Der historische Hintergrund der Informationsfreiheit im
114 Grundgesetz sind die nationalsozia-listischen
115 Informationsverbote und -beschränkungen etwa hinsichtlich
116 des Hörens ausländi-scher Rundfunksender. [ Marion Albers,
117 Grundlagen und Ausgestaltung der
118 Informationsfrei-heitsgesetze, ZJS 2009, 614 (616) m. w. N.]
119 Garantiert wird das Recht, sich ungehindert und somit frei
120 aus „allgemein zugänglichen Quellen“ zu informieren. Unter
121 „Information“ werden sowohl Meinungen als auch Tatsachen
122 verstanden. Eine Schlüsselposition nimmt auch der Begriff
123 der „allgemein zugänglichen Quellen“ ein. Er wird so
124 definiert, dass eine Quelle all-gemein zugänglich ist, wenn
125 sie tatsächlich geeignet und auch dazu bestimmt ist, einem
126 indi-viduell nicht begrenzten Personenkreis Informationen zu
127 verschaffen.
128 Neben der tatsächlichen Eignung setzt die
129 Allgemeinzugänglichkeit einer Quelle eine ent-sprechende
130 Bestimmung durch denjenigen voraus, der über die
131 Zugänglichkeit und über Art oder Modalitäten der
132 Zugangseröffnung entscheiden darf. Nach der Rechtsprechung
133 des Bundesverfassungsgerichts und des
134 Bundesverwaltungsgerichts ist das derjenige, der nach der
135 Rechtsordnung über ein entsprechendes Bestimmungsrecht
136 verfügt. Für den Staat ergeben sich einschlägige
137 Entscheidungskompetenzen in der Regel aus Vorschriften des
138 öffentlichen Rechts.
139
140 Leitentscheidung für den Umfang des Grundrechts auf
141 Informationsfreiheit war die sog. n.tv-Entscheidung [ Urteil
142 des BVerfG vom 24.01.2001 - 1 BvR 2623/95, 1 BvR 622/99;
143 BVerf-GE 103,44 ff], in der das Bundesverfassungsgericht
144 umfassend zur Auslegung des Grund-rechts Stellung genommen
145 hat. Nach dieser Entscheidung, die vor Inkrafttreten des
146 Informa-tionsfreiheitsgesetzes ergangen ist, können sich
147 zwar nicht aus der Informationsfreiheit, aber aus
148 anderweitigen verfassungsrechtlichen Grundlagen staatliche
149 Verpflichtungen ergeben, eine allgemeine Zugänglichkeit
150 einer Informationsquelle herzustellen. Dies wirkt zudem auf
151 den objektiv- und individualrechtlichen Schutzumfang der
152 Informationsfreiheit zurück:
153
154 „Das Grundrecht umfasst allerdings ein gegen den Staat
155 gerichtetes Recht auf Zugang in Fällen, in denen eine im
156 staatlichen Verantwortungsbereich liegende
157 Informations-quelle auf Grund rechtlicher Vorgaben zur
158 öffentlichen Zugänglichkeit bestimmt ist, der Staat den
159 Zugang aber verweigert. […] Legt der Gesetzgeber die Art der
160 Zugäng-lichkeit von staatlichen Vorgängen und damit zugleich
161 das Ausmaß der Öffnung dieser Informationsquelle fest, so
162 wird in diesem Umfang zugleich der Schutzbereich der
163 In-formationsfreiheit eröffnet. […] Folgt […] aus
164 Verfassungsrecht, dass der Zugang als solcher weiter oder
165 gar unbeschränkt hätte eröffnet werden müssen, kann dies vom
166 Träger des Grundrechts der Informationsfreiheit […] geltend
167 gemacht werden.“ [Ebenda, BVerfGE 103, 44 (60)]
168
169 Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 GG vermittelt dementsprechend
170 keinen Anspruch gegen den Staat auf voraussetzungslosen
171 Informationszugang oder Schaffung neuer Informationsquellen.
172 [ Urteil des VG Hamburg; Az.: 7 K 539/08, S. 11 m. w. N.
173 sowie Evaluationsbericht IFG; S. 51] Vielmehr ist die
174 Allgemeinzugänglichkeit einer Information allein anhand der
175 tatsächli-chen Lage zu bestimmen: Allgemein zugänglich ist
176 eine Informationsquelle, wenn sie geeignet und bestimmt ist,
177 der Allgemeinheit, also einem individuell nicht bestimmbaren
178 Personenkreis, Informationen zu verschaffen. Über diese
179 Zugänglichkeit und die Art der Zugangseröffnung entscheidet
180 danach derjenige, der nach der Rechtsordnung über ein
181 entsprechendes Bestimmungsrecht verfügt. [ Urteil des VG
182 Hamburg; Az.: 7 K 539/08, S. 11 m. w. N. sowie
183 Evaluationsbericht IFG; S. 51 f.Ilias Sofotis,
184 Europarechtliche und verfassungsrechtliche Vorgaben zum
185 Recht auf Informationszugang, VR 2010, 397 (400) ]
186
187 Da das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip mit dem
188 Transparenzprinzip verknüpft sind, ist dem Staat jedoch
189 zumindest dann die Pflicht zur Errichtung oder Initiierung
190 von Informati-onsquellen auferlegt, wenn auf andere Weise
191 eine möglichst objektive Information und damit die
192 Entstehung einer möglichst an den Tatsachen orientierten
193 Meinung nicht besteht. Schließlich gewähre das
194 Demokratieprinzip dem Volk gewisse Kontroll- und
195 Lenkungsfunk-tionen dem staatlichen Handeln gegenüber. Es
196 gäbe daher ein Publizitätsgebot des staatlichen Handelns.
197 Schließlich sei der gesicherte Zugang zu Informationen eine
198 zentrale Voraussetzung für die verantwortliche Bildung einer
199 eigenen Meinung. [FN folgt] Ein subjektives Recht könne
200 hieraus allerdings nicht hergeleitet werden. [FN folgt]
201
202 In mehreren Kommentaren zu den Informationsfreiheitsgesetzen
203 wird [FN folgt] zudem die Auffassung vertreten, dass
204 einfachgesetzliche Zugangsansprüche wie die
205 Informationsfrei-heitsgesetze des Bundes und der Länder das
206 Grundrecht der Informationsfreiheit „aktivieren“. Das Recht
207 auf voraussetzungslosen Informationszugang zu amtlichen
208 Informationen wird insoweit als ein „Grundrecht aus der Hand
209 des einfachen Gesetzgebers“ gesehen. Von Bedeutung wird dies
210 bei den zahlreichen in den Informationsfreiheitsgesetzen
211 vorgesehenen Abwägungsprozesse sein. [Berger/Roth/Scheel,
212 Informationsfreiheitsgesetz, 2006, S. 54] Mit den
213 Informationsfreiheitsgesetzen wird das bisherige
214 Regel-Ausnahme-Verhältnis von beschränktem Amtsgeheimnis und
215 voraussetzungslosem Informationszugang umgekehrt. Dies hat
216 zur Folge, dass Behördenakten grundsätzlich als allgemein
217 zugängliche Quellen anzusehen sind und dass die Behörde die
218 Darlegungslast für Ausnahmen und Beschränkungen trifft und
219 somit nicht der Antragstellende, sondern die
220 zugangsverwehrende Verwaltung begründungspflichtig
221 ist.[Rossi, Informationsfreiheit und Verfassungsrecht,
222 Berlin 2004, S.220, Berger/Roth/Scheel,
223 Informationsfreiheitsgesetz, 2006, S. 54]
224
225 Unter besonderen Umständen können sich auch aus anderen
226 Grundrechten Ansprüche auf ein staatliches Tätigwerden mit
227 dem Ziel der Sicherung der grundrechtlich geschützten
228 Rechtsgü-ter ergeben. [ Evaluationsbericht IFG; S. 51 f.]
229 Daher können Informationszugangsansprüche insoweit bestehen,
230 als diese zur Ermöglichung der grundrechtlich geschützten
231 Freiheit uner-lässlich sind. [ebenda] So gewährt das
232 Grundgesetz nach der Rechtsprechung des
233 Bundesver-fassungsgerichts sektoriell und in ihrer
234 Reichweite eng beschränkte Ansprüche auf Zugang zu amtlichen
235 Informationen aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Art.
236 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 (z. B. Recht auf Kenntnis
237 der eigenen Abstammung; Recht auf Einsicht in die
238 Kran-kenunterlagen), dem Recht auf informationelle
239 Selbstbestimmung Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG
240 (beschränkt auf Zugang zu Informationen zur eigenen Person).
241 Aber auch ein un-mittelbar aus der Berufsfreiheit des Art.
242 12 Abs. 1 GG hergeleiteter Auskunftsanspruch ist in den
243 Fällen anerkannt, in denen eine behördliche Auskunft zum
244 Schutz der Berufsfreiheit uner-lässlich ist. [ebenda]Weiter
245 kann ein Anspruch auf Informationszugang auch aus dem
246 allge-meinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in
247 Verbindung mit einer ständigen Verwal-tungspraxis der
248 Behörde folgen. [ebenda]

Vorschlag

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