Papier: 02.04.02 Online-Wahlen

Originalversion

1 **Möglichkeiten digitaler Beteiligung an legislativen
2 Entscheidungen (Online-Wahlen)**
3
4
5 Mit den uneinheitlich verwendeten Begriffen „Online-Wahlen“,
6 „Internetwahlen“, „E-Voting“, „Online-Voting“ oder
7 „Cyber-Voting“ werden Wahlen beschrieben, die auf
8 elektronischem Wege über das Internet abgewickelt werden. Zu
9 unterscheiden sind dabei verbindliche Wahlen von Funktions-
10 und Mandatsträgern gegenüber den vielen elektronischen
11 Abstimmungsmöglichkeiten, die sich im Netz, vor allem im
12 Bereich „social media“ und bei Umfragen, herausgebildet
13 haben.
14
15 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum
16 Einsatz von Wahlcomputern [FN: Urteil vom 3. März 2009, 2
17 BvC 3/07, 2 BvC 4/07.] umfangreiche Kriterien aufgestellt,
18 unter denen ein Einsatz elektronischer Wahlgeräte in
19 Deutschland zulässig ist. Zurzeit ist kein System bekannt,
20 welches diese Kriterien erfüllt.
21
22 Das Gericht betonte in seiner Entscheidung die Bedeutung des
23 Prinzips der Nachprüfbarkeit des Wahlergebnisses ohne, dass
24 besonderer technischer Sachverstand bei dem Prüfenden
25 vorausgesetzt werden darf. Da die Stimmenspeicherung und die
26 Auszählung bei den verwendeten Wahlcomputern in den Geräten
27 stattfinden würde, entziehe sich das Verfahren prinzipiell
28 einer einfachen Überprüfbarkeit. Auch eine nachträgliche
29 Kontrolle sowie ein erneutes Auszählen seien nicht
30 unabhängig von den eingesetzten Computersystemen möglich.
31 Überdies erfordere eine Nachprüfung der Ergebnisse ein
32 erhebliches Maß an technischem Sachverstand. Gesetzliche
33 Regelungen für die Durchführung von Online-Wahlen, die den
34 Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechen,
35 existieren in Deutschland derzeit nicht. Die Durchführung
36 von Online-Wahlen nach demokratischen und
37 verfassungsrechtlichen Standards, die das
38 Öffentlichkeitsprinzip ausreichend berücksichtigen, ist
39 daher in naher Zukunft nicht absehbar.
40
41 Mit Blick auf Europa zeigt sich hinsichtlich der Planung von
42 Pilotverfahren von Online-Wahlen für rechtsverbindliche
43 Abstimmungen insgesamt ein uneinheitliches Bild. Anders als
44 in der Schweiz oder Estland [FN:
45 http://www.vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/statist
46 ics;
47 http://www.vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/reports
48 -about-internet-voting-in-estonia/], wo Online-Wahlen auch
49 im parlamentarischen Bereich durchgeführt werden, entschied
50 sich Großbritannien im Oktober 2008, Pilotversuche von
51 Online-Wahlen zu beenden, nachdem seit dem Jahr 2000
52 insbesondere auf lokaler Ebene zahlreiche Wahlen
53 elektronisch durchgeführt worden waren [FN:
54 http://www.electoralcommission.org.uk/__data/assets/electora
55 l_commission_pdf_file/0015/13218/Keyfindingsandrecommendatio
56 nssummarypaper_27191-20111__E__N__S__W__.pdf ]. Die Gründe
57 für das Ende der Online-Testwahlen werden vor allem in der
58 Wahlbeteiligung und in Fragen der Sicherheit und Transparenz
59 gesehen: [FN:
60 http://www.parliament.uk/documents/commons/lib/research/brie
61 fings/snpc-04397.pdf,
62 http://www.justice.gov.uk/publications/docs/gov-response-ele
63 c-comm.pdf,
64 http://www.theregister.co.uk/2008/04/28/rowntree_election_fa
65 ilings/ ] „[...] e-voting pilots were extremely expensive
66 and there is no evidence to suggest that e-voting offers any
67 significant scope for turnout to be increased by this means
68 [...] Serious concerns persist about the security and
69 transparency of e-voting systems and their vulnerability to
70 organised fraud.“ [FN: John Oates: UK elections vulnerable
71 to fraud, 28. April 2008:
72 http://www.theregister.co.uk/2008/04/28/rowntree_election_fa
73 ilings/]
74
75 Die seit 2005 in der Österreichischen
76 Hochschülerschaftswahlordnung (HSWO) vorgesehene und 2009
77 angewendete Möglichkeit zur Durchführung eines
78 Online-Wahlverfahrens wurde 2011 vom Österreichischen
79 Verfassungsgerichtshof als "gesetzwidrig" aufgehoben [FN:
80 http://www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-site/attachments/0/5/5/CH0003
81 /CMS1324453358376/e-voting_v85-11.pdf ]. Bei der Wahl 2009
82 hatte nur rund ein Prozent der Wahlberechtigten Studentinnen
83 und Studenten eine elektronische Stimme abgegeben
84 [http://www.verwaltungsmanagement.at/687/uploads/evaluierung
85 sbericht_e-voting_hochschuelerinnen-_und_hochschuelerschafts
86 wahlen_2009.pdf ], ein erhoffter Zugewinn an Wahlbeteiligung
87 blieb aus.
88
89 Die offensichtlichen Probleme computerisierter Wahlen in
90 Fragen der Transparenz, Sicherheit, Verlässlichkeit,
91 Korrektheit, Akzeptanz, Bedienungsfreundlichkeit sowie
92 Kosten werden zunehmend kritischer diskutiert. Theoretische
93 Vorschläge zur Implementierungen von Online-Wahlen aus der
94 wissenschaftlichen Forschung [FN: Chaum, David (2007):
95 Scantegrity, 2007:
96 http://www.scantegrity.org/papers/summary.pdf ] weisen in
97 der Regel eine ausgesprochen hohe Komplexität auf und
98 verwenden stets kryptographische Funktionen, sind daher für
99 parlamentarische und rechtsverbindliche Abstimmungen gerade
100 wegen ihrer Komplexität und Undurchsichtigkeit derzeit nicht
101 für die Praxis geeignet.
102
103 Für politische Online-Wahlen müssen jedoch dieselben
104 Grundsätze gelten, wie sie auch für jedes andere
105 Wahlverfahren verfassungsrechtlich geboten sind, dessen
106 Ergebnis für den Wähler demokratisch, legitim und
107 nachvollziehbar sein soll: frei, gleich und überprüfbar
108 sowie geheim.
109
110 Der Ablauf von Online-Wahlen ist jedoch nicht nur eine Frage
111 der technischen Sicherheit. Das Vertrauen darin, dass ein
112 Wähler nachvollziehen kann, was vor und während einer
113 Auszählung passiert, muss ebenfalls gegeben sein. Denn die
114 Transparenz des Zustandekommens des Wahlergebnisses und das
115 Vertrauen in das Wahlverfahren ist für die Legitimierung des
116 Ergebnisses von entscheidender Bedeutung.

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 **Möglichkeiten digitaler Beteiligung an legislativen
2 Entscheidungen (Online-Wahlen)**
3
4
5 Mit den uneinheitlich verwendeten Begriffen „Online-Wahlen“,
6 „Internetwahlen“, „E-Voting“, „Online-Voting“ oder
7 „Cyber-Voting“ werden Wahlen beschrieben, die auf
8 elektronischem Wege über das Internet abgewickelt werden. Zu
9 unterscheiden sind dabei verbindliche Wahlen von Funktions-
10 und Mandatsträgern gegenüber den vielen elektronischen
11 Abstimmungsmöglichkeiten, die sich im Netz, vor allem im
12 Bereich „social media“ und bei Umfragen, herausgebildet
13 haben.
14
15 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum
16 Einsatz von Wahlcomputern [FN: Urteil vom 3. März 2009, 2
17 BvC 3/07, 2 BvC 4/07.] umfangreiche Kriterien aufgestellt,
18 unter denen ein Einsatz elektronischer Wahlgeräte in
19 Deutschland zulässig ist. Zurzeit ist kein System bekannt,
20 welches diese Kriterien erfüllt.
21
22 Das Gericht betonte in seiner Entscheidung die Bedeutung des
23 Prinzips der Nachprüfbarkeit des Wahlergebnisses ohne, dass
24 besonderer technischer Sachverstand bei dem Prüfenden
25 vorausgesetzt werden darf. Da die Stimmenspeicherung und die
26 Auszählung bei den verwendeten Wahlcomputern in den Geräten
27 stattfinden würde, entziehe sich das Verfahren prinzipiell
28 einer einfachen Überprüfbarkeit. Auch eine nachträgliche
29 Kontrolle sowie ein erneutes Auszählen seien nicht
30 unabhängig von den eingesetzten Computersystemen möglich.
31 Überdies erfordere eine Nachprüfung der Ergebnisse ein
32 erhebliches Maß an technischem Sachverstand. Gesetzliche
33 Regelungen für die Durchführung von Online-Wahlen, die den
34 Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechen,
35 existieren in Deutschland derzeit nicht. Die Durchführung
36 von Online-Wahlen nach demokratischen und
37 verfassungsrechtlichen Standards, die das
38 Öffentlichkeitsprinzip ausreichend berücksichtigen, ist
39 daher in naher Zukunft nicht absehbar.
40
41 Mit Blick auf Europa zeigt sich hinsichtlich der Planung von
42 Pilotverfahren von Online-Wahlen für rechtsverbindliche
43 Abstimmungen insgesamt ein uneinheitliches Bild. Anders als
44 in der Schweiz oder Estland [FN:
45 http://www.vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/statist
46 ics;
47 http://www.vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/reports
48 -about-internet-voting-in-estonia/], wo Online-Wahlen auch
49 im parlamentarischen Bereich durchgeführt werden, entschied
50 sich Großbritannien im Oktober 2008, Pilotversuche von
51 Online-Wahlen zu beenden, nachdem seit dem Jahr 2000
52 insbesondere auf lokaler Ebene zahlreiche Wahlen
53 elektronisch durchgeführt worden waren [FN:
54 http://www.electoralcommission.org.uk/__data/assets/electora
55 l_commission_pdf_file/0015/13218/Keyfindingsandrecommendatio
56 nssummarypaper_27191-20111__E__N__S__W__.pdf ]. Die Gründe
57 für das Ende der Online-Testwahlen werden vor allem in der
58 Wahlbeteiligung und in Fragen der Sicherheit und Transparenz
59 gesehen: [FN:
60 http://www.parliament.uk/documents/commons/lib/research/brie
61 fings/snpc-04397.pdf,
62 http://www.justice.gov.uk/publications/docs/gov-response-ele
63 c-comm.pdf,
64 http://www.theregister.co.uk/2008/04/28/rowntree_election_fa
65 ilings/ ] „[...] e-voting pilots were extremely expensive
66 and there is no evidence to suggest that e-voting offers any
67 significant scope for turnout to be increased by this means
68 [...] Serious concerns persist about the security and
69 transparency of e-voting systems and their vulnerability to
70 organised fraud.“ [FN: John Oates: UK elections vulnerable
71 to fraud, 28. April 2008:
72 http://www.theregister.co.uk/2008/04/28/rowntree_election_fa
73 ilings/]
74
75 Die seit 2005 in der Österreichischen
76 Hochschülerschaftswahlordnung (HSWO) vorgesehene und 2009
77 angewendete Möglichkeit zur Durchführung eines
78 Online-Wahlverfahrens wurde 2011 vom Österreichischen
79 Verfassungsgerichtshof als "gesetzwidrig" aufgehoben [FN:
80 http://www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-site/attachments/0/5/5/CH0003
81 /CMS1324453358376/e-voting_v85-11.pdf ]. Bei der Wahl 2009
82 hatte nur rund ein Prozent der Wahlberechtigten Studentinnen
83 und Studenten eine elektronische Stimme abgegeben
84 [http://www.verwaltungsmanagement.at/687/uploads/evaluierung
85 sbericht_e-voting_hochschuelerinnen-_und_hochschuelerschafts
86 wahlen_2009.pdf ], ein erhoffter Zugewinn an Wahlbeteiligung
87 blieb aus.
88
89 Die offensichtlichen Probleme computerisierter Wahlen in
90 Fragen der Transparenz, Sicherheit, Verlässlichkeit,
91 Korrektheit, Akzeptanz, Bedienungsfreundlichkeit sowie
92 Kosten werden zunehmend kritischer diskutiert. Theoretische
93 Vorschläge zur Implementierungen von Online-Wahlen aus der
94 wissenschaftlichen Forschung [FN: Chaum, David (2007):
95 Scantegrity, 2007:
96 http://www.scantegrity.org/papers/summary.pdf ] weisen in
97 der Regel eine ausgesprochen hohe Komplexität auf und
98 verwenden stets kryptographische Funktionen, sind daher für
99 parlamentarische und rechtsverbindliche Abstimmungen gerade
100 wegen ihrer Komplexität und Undurchsichtigkeit derzeit nicht
101 für die Praxis geeignet.
102
103 Für politische Online-Wahlen müssen jedoch dieselben
104 Grundsätze gelten, wie sie auch für jedes andere
105 Wahlverfahren verfassungsrechtlich geboten sind, dessen
106 Ergebnis für den Wähler demokratisch, legitim und
107 nachvollziehbar sein soll: frei, gleich und überprüfbar
108 sowie geheim.
109
110 Der Ablauf von Online-Wahlen ist jedoch nicht nur eine Frage
111 der technischen Sicherheit. Das Vertrauen darin, dass ein
112 Wähler nachvollziehen kann, was vor und während einer
113 Auszählung passiert, muss ebenfalls gegeben sein. Denn die
114 Transparenz des Zustandekommens des Wahlergebnisses und das
115 Vertrauen in das Wahlverfahren ist für die Legitimierung des
116 Ergebnisses von entscheidender Bedeutung.

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