1 | **Möglichkeiten digitaler Beteiligung an legislativen |
2 | Entscheidungen (Online-Wahlen)** |
3 | |
4 | |
5 | Mit den uneinheitlich verwendeten Begriffen |
6 | „Online-Wahlen“, „Internetwahlen“, „E-Voting“, |
7 | „Online-Voting“ oder „Cyber-Voting“ werden Wahlen |
8 | beschrieben, die auf elektronischem Wege über das Internet |
9 | abgewickelt werden. Zu unterscheiden sind dabei |
10 | verbindliche Wahlen von Funktions- und Mandatsträgern |
11 | gegenüber den vielen elektronischen |
12 | Abstimmungsmöglichkeiten, die sich im Netz, vor allem im |
13 | Bereich „social media“ und bei Umfragen, herausgebildet |
14 | haben. |
15 | |
16 | Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum |
17 | Einsatz von Wahlcomputern [FN: Urteil vom 3. März 2009, 2 |
18 | BvC 3/07, 2 BvC 4/07.] umfangreiche Kriterien aufgestellt, |
19 | unter denen ein Einsatz elektronischer Wahlgeräte in |
20 | Deutschland zulässig ist. Zurzeit ist kein System bekannt, |
21 | welches diese Kriterien erfüllt. |
22 | |
23 | Das Gericht betonte in seiner Entscheidung die Bedeutung |
24 | des Prinzips der Nachprüfbarkeit des Wahlergebnisses ohne, |
25 | dass besonderer technischer Sachverstand bei dem Prüfenden |
26 | vorausgesetzt werden darf. Da die Stimmenspeicherung und |
27 | die Auszählung bei den verwendeten Wahlcomputern in den |
28 | Geräten stattfinden würde, entziehe sich das Verfahren |
29 | prinzipiell einer einfachen Überprüfbarkeit. Auch eine |
30 | nachträgliche Kontrolle sowie ein erneutes Auszählen seien |
31 | nicht unabhängig von den eingesetzten Computersystemen |
32 | möglich. Überdies erfordere eine Nachprüfung der Ergebnisse |
33 | ein erhebliches Maß an technischem Sachverstand. |
34 | Gesetzliche Regelungen für die Durchführung von |
35 | Online-Wahlen, die den Vorgaben des |
36 | Bundesverfassungsgerichts entsprechen, existieren in |
37 | Deutschland derzeit nicht. Die Durchführung von |
38 | Online-Wahlen nach demokratischen und |
39 | verfassungsrechtlichen Standards, die das |
40 | Öffentlichkeitsprinzip ausreichend berücksichtigen, ist |
41 | daher in naher Zukunft nicht absehbar. |
42 | |
43 | Mit Blick auf Europa zeigt sich hinsichtlich der Planung |
44 | von Pilotverfahren von Online-Wahlen für rechtsverbindliche |
45 | Abstimmungen insgesamt ein uneinheitliches Bild. Anders als |
46 | in der Schweiz oder Estland [FN: |
47 | http://www.vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/statist |
48 | ics; |
49 | http://www.vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/reports |
50 | -about-internet-voting-in-estonia/], wo Online-Wahlen auch |
51 | im parlamentarischen Bereich durchgeführt werden, entschied |
52 | sich Großbritannien im Oktober 2008, Pilotversuche von |
53 | Online-Wahlen zu beenden, nachdem seit dem Jahr 2000 |
54 | insbesondere auf lokaler Ebene zahlreiche Wahlen |
55 | elektronisch durchgeführt worden waren [FN: |
56 | http://www.electoralcommission.org.uk/__data/assets/electora |
57 | l_commission_pdf_file/0015/13218/Keyfindingsandrecommendatio |
58 | nssummarypaper_27191-20111__E__N__S__W__.pdf ]. Die Gründe |
59 | für das Ende der Online-Testwahlen werden vor allem in der |
60 | Wahlbeteiligung und in Fragen der Sicherheit und |
61 | Transparenz gesehen: [FN: |
62 | http://www.parliament.uk/documents/commons/lib/research/brie |
63 | fings/snpc-04397.pdf, |
64 | http://www.justice.gov.uk/publications/docs/gov-response-ele |
65 | c-comm.pdf, |
66 | http://www.theregister.co.uk/2008/04/28/rowntree_election_fa |
67 | ilings/ ] „[...] e-voting pilots were extremely expensive |
68 | and there is no evidence to suggest that e-voting offers |
69 | any significant scope for turnout to be increased by this |
70 | means [...] Serious concerns persist about the security and |
71 | transparency of e-voting systems and their vulnerability to |
72 | organised fraud.“ [FN: John Oates: UK elections vulnerable |
73 | to fraud, 28. April 2008: |
74 | http://www.theregister.co.uk/2008/04/28/rowntree_election_fa |
75 | ilings/] |
76 | |
77 | Die seit 2005 in der Österreichischen |
78 | Hochschülerschaftswahlordnung (HSWO) vorgesehene und 2009 |
79 | angewendete Möglichkeit zur Durchführung eines |
80 | Online-Wahlverfahrens wurde 2011 vom Österreichischen |
81 | Verfassungsgerichtshof als "gesetzwidrig" aufgehoben [FN: |
82 | http://www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-site/attachments/0/5/5/CH0003 |
83 | /CMS1324453358376/e-voting_v85-11.pdf ]. Bei der Wahl 2009 |
84 | hatte nur rund ein Prozent der Wahlberechtigten |
85 | Studentinnen und Studenten eine elektronische Stimme |
86 | abgegeben |
87 | [http://www.verwaltungsmanagement.at/687/uploads/evaluierung |
88 | sbericht_e-voting_hochschuelerinnen-_und_hochschuelerschafts |
89 | wahlen_2009.pdf ], ein erhoffter Zugewinn an |
90 | Wahlbeteiligung blieb aus. |
91 | |
92 | Die offensichtlichen Probleme computerisierter Wahlen in |
93 | Fragen der Transparenz, Sicherheit, Verlässlichkeit, |
94 | Korrektheit, Akzeptanz, Bedienungsfreundlichkeit sowie |
95 | Kosten werden zunehmend kritischer diskutiert. Theoretische |
96 | Vorschläge zur Implementierungen von Online-Wahlen aus der |
97 | wissenschaftlichen Forschung [FN: Chaum, David (2007): |
98 | Scantegrity, 2007: |
99 | http://www.scantegrity.org/papers/summary.pdf ] weisen in |
100 | der Regel eine ausgesprochen hohe Komplexität auf und |
101 | verwenden stets kryptographische Funktionen, sind daher für |
102 | parlamentarische und rechtsverbindliche Abstimmungen gerade |
103 | wegen ihrer Komplexität und Undurchsichtigkeit derzeit |
104 | nicht für die Praxis geeignet. |
105 | |
106 | Für politische Online-Wahlen müssen jedoch dieselben |
107 | Grundsätze gelten, wie sie auch für jedes andere |
108 | Wahlverfahren verfassungsrechtlich geboten sind, dessen |
109 | Ergebnis für den Wähler demokratisch, legitim und |
110 | nachvollziehbar sein soll: frei, gleich und überprüfbar |
111 | sowie geheim. |
112 | |
113 | Der Ablauf von Online-Wahlen ist jedoch nicht nur eine |
114 | Frage der technischen Sicherheit. Das Vertrauen darin, dass |
115 | ein Wähler nachvollziehen kann, was vor und während einer |
116 | Auszählung passiert, muss ebenfalls gegeben sein. Denn die |
117 | Transparenz des Zustandekommens des Wahlergebnisses und das |
118 | Vertrauen in das Wahlverfahren ist für die Legitimierung |
119 | des Ergebnisses von entscheidender Bedeutung. |
1-2 von 2
-
02.04.02 Online-Wahlen (Originalversion)
von EnqueteSekretariat, angelegt -
02.04.02 Online-Wahlen (Originalversion)
von EnqueteSekretariat, angelegt1 Mit den uneinheitlich verwendeten Begriffen „Online-Wahlen“, 2 „Internetwahlen“, „E-Voting“, „Online-Voting“ oder 3 „Cyber-Voting“ werden Wahlen beschrieben, die auf 4 elektronischem Wege über das Internet abgewickelt werden. Zu 5 unterscheiden sind dabei verbindliche Wahlen von Funktions- 6 und Mandatsträgern gegenüber den vielen elektronischen 7 Abstimmungsmöglichkeiten, die sich im Netz, vor allem im 8 Bereich „social media“ und bei Umfragen, herausgebildet 9 haben. 10 11 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum 12 Einsatz von Wahlcomputern [FN: Urteil vom 3. März 2009, 2 13 BvC 3/07, 2 BvC 4/07.] umfangreiche Kriterien aufgestellt, 14 unter denen ein Einsatz elektronischer Wahlgeräte in 15 Deutschland zulässig ist. Zurzeit ist kein System bekannt, 16 welches diese Kriterien erfüllt. 17 18 Das Gericht betonte in seiner Entscheidung die Bedeutung des 19 Prinzips der Nachprüfbarkeit des Wahlergebnisses ohne, dass 20 besonderer technischer Sachverstand bei dem Prüfenden 21 vorausgesetzt werden darf. Da die Stimmenspeicherung und die 22 Auszählung bei den verwendeten Wahlcomputern in den Geräten 23 stattfinden würde, entziehe sich das Verfahren prinzipiell 24 einer einfachen Überprüfbarkeit. Auch eine nachträgliche 25 Kontrolle sowie ein erneutes Auszählen seien nicht 26 unabhängig von den eingesetzten Computersystemen möglich. 27 Überdies erfordere eine Nachprüfung der Ergebnisse ein 28 erhebliches Maß an technischem Sachverstand. Gesetzliche 29 Regelungen für die Durchführung von Online-Wahlen, die den 30 Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechen, 31 existieren in Deutschland derzeit nicht. Die Durchführung 32 von Online-Wahlen nach demokratischen und 33 verfassungsrechtlichen Standards, die das 34 Öffentlichkeitsprinzip ausreichend berücksichtigen, ist 35 daher in naher Zukunft nicht absehbar. 36 37 Mit Blick auf Europa zeigt sich hinsichtlich der Planung von 38 Pilotverfahren von Online-Wahlen für rechtsverbindliche 39 Abstimmungen insgesamt ein uneinheitliches Bild. Anders als 40 in der Schweiz oder Estland [FN: 41 http://www.vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/statist 42 ics; 43 http://www.vvk.ee/voting-methods-in-estonia/engindex/reports 44 -about-internet-voting-in-estonia/], wo Online-Wahlen auch 45 im parlamentarischen Bereich durchgeführt werden, entschied 46 sich Großbritannien im Oktober 2008, Pilotversuche von 47 Online-Wahlen zu beenden, nachdem seit dem Jahr 2000 48 insbesondere auf lokaler Ebene zahlreiche Wahlen 49 elektronisch durchgeführt worden waren [FN: 50 http://www.electoralcommission.org.uk/__data/assets/electora 51 l_commission_pdf_file/0015/13218/Keyfindingsandrecommendatio 52 nssummarypaper_27191-20111__E__N__S__W__.pdf ]. Die Gründe 53 für das Ende der Online-Testwahlen werden vor allem in der 54 Wahlbeteiligung und in Fragen der Sicherheit und Transparenz 55 gesehen: [FN: 56 http://www.parliament.uk/documents/commons/lib/research/brie 57 fings/snpc-04397.pdf, 58 http://www.justice.gov.uk/publications/docs/gov-response-ele 59 c-comm.pdf, 60 http://www.theregister.co.uk/2008/04/28/rowntree_election_fa 61 ilings/ ] „[...] e-voting pilots were extremely expensive 62 and there is no evidence to suggest that e-voting offers any 63 significant scope for turnout to be increased by this means 64 [...] Serious concerns persist about the security and 65 transparency of e-voting systems and their vulnerability to 66 organised fraud.“ [FN: John Oates: UK elections vulnerable 67 to fraud, 28. April 2008: 68 http://www.theregister.co.uk/2008/04/28/rowntree_election_fa 69 ilings/] 70 71 Die seit 2005 in der Österreichischen 72 Hochschülerschaftswahlordnung (HSWO) vorgesehene und 2009 73 angewendete Möglichkeit zur Durchführung eines 74 Online-Wahlverfahrens wurde 2011 vom Österreichischen 75 Verfassungsgerichtshof als "gesetzwidrig" aufgehoben [FN: 76 http://www.vfgh.gv.at/cms/vfgh-site/attachments/0/5/5/CH0003 77 /CMS1324453358376/e-voting_v85-11.pdf ]. Bei der Wahl 2009 78 hatte nur rund ein Prozent der Wahlberechtigten Studentinnen 79 und Studenten eine elektronische Stimme abgegeben 80 [http://www.verwaltungsmanagement.at/687/uploads/evaluierung 81 sbericht_e-voting_hochschuelerinnen-_und_hochschuelerschafts 82 wahlen_2009.pdf ], ein erhoffter Zugewinn an Wahlbeteiligung 83 blieb aus. 84 85 Die offensichtlichen Probleme computerisierter Wahlen in 86 Fragen der Transparenz, Sicherheit, Verlässlichkeit, 87 Korrektheit, Akzeptanz, Bedienungsfreundlichkeit sowie 88 Kosten werden zunehmend kritischer diskutiert. Theoretische 89 Vorschläge zur Implementierungen von Online-Wahlen aus der 90 wissenschaftlichen Forschung [FN: Chaum, David (2007): 91 Scantegrity, 2007: 92 http://www.scantegrity.org/papers/summary.pdf ] weisen in 93 der Regel eine ausgesprochen hohe Komplexität auf und 94 verwenden stets kryptographische Funktionen, sind daher für 95 parlamentarische und rechtsverbindliche Abstimmungen gerade 96 wegen ihrer Komplexität und Undurchsichtigkeit derzeit nicht 97 für die Praxis geeignet. 98 99 Für politische Online-Wahlen müssen jedoch dieselben 100 Grundsätze gelten, wie sie auch für jedes andere 101 Wahlverfahren verfassungsrechtlich geboten sind, dessen 102 Ergebnis für den Wähler demokratisch, legitim und 103 nachvollziehbar sein soll: frei, gleich und überprüfbar 104 sowie geheim. 105 106 Der Ablauf von Online-Wahlen ist jedoch nicht nur eine Frage 107 der technischen Sicherheit. Das Vertrauen darin, dass ein 108 Wähler nachvollziehen kann, was vor und während einer 109 Auszählung passiert, muss ebenfalls gegeben sein. Denn die 110 Transparenz des Zustandekommens des Wahlergebnisses und das 111 Vertrauen in das Wahlverfahren ist für die Legitimierung des 112 Ergebnisses von entscheidender Bedeutung.