Papier: 01 Grundlagen

Version: "Test Vorschlag"

1 Die Projektgruppe hat sich darauf verständigt, in einem
2 ersten Schritt eine grundlegende Bestandsaufnahme und
3 Klärung von Begrifflichkeiten vorzunehmen.

Der Text verglichen mit der Originalversion

1 Die Projektgruppe hat sich darauf verständigt, in einem
2 ersten Schritt eine grundlegende Bestandsaufnahme und
3 Klärung von Begrifflichkeiten vorzunehmen.
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Vorschlag

Zu 1.01: Grundfragen – Demokratie und Staat in der digitalen Gesellschaft

Diskussionsvorschlag von SV Dr. Wolfgang Schulz und der Fraktion der SPD - Arbeitsgrundlage für die nächste Projektgruppensitzung am 07.11.2011

1 Grundfragen - Demokratie und Staat in der digitalen Gesellschaft

Internet und Digitalisierung verändern unser Leben und unsere Gesellschaft. Auch Politik wandelt sich in einer digitalen Welt. Dies kann auch die Rolle des Staates und die demokratische Rückbindung seines Handelns grundlegend betreffen.

In diesem Berichtsteil sollen Fragen aus diesem Themenfeld aufgeworfen und diskutiert werden. Die Enquete-Kommission ist sich dabei bewusst, dass vor allem im Bereich von e-democracy und e-government Praxis und Wissenschaft mittlerweile zahlreiche Erkenntnisse gewonnen haben, die hier nicht aufgearbeitet oder gar weiterentwickelt werden können. Vielmehr soll auf der Grundlage dieser Erkenntnis nach mittelfristigen Veränderungen und möglichen Reaktionen darauf gefragt werden.

1.1 Legitimation und Partizipation

Demokratie bedeutet die gleiche politische Freiheit aller an der kollektiven Meinungsbildung und Entscheidungsfindung (Kelsen 1929). Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bekennt sich zum Demokratieprinzip und damit zum Grundsatz der Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 GG). Auch Demokratie ist eine Herrschaftsform, Regierte und Regierende sind nicht identisch, die Regierenden bedürfen aber einer Legitimation in einem Verfahren öffentlicher Meinungs- und Willensbildung, die den Anforderungen der Freiheit nach den Maßstäben des Grundgesetzes genügt. Dies wird in erster Linie – aber keineswegs ausschließlich durch Wahlen und Abstimmungen sichergestellt (Böckenförde 2004). Schon an dieser Stelle werfen die Entwicklungen im Internet grundsätzliche Fragen auf:

  • Verändern oder vergrößern sich die Bereiche, die denen es gar keine repräsentativen Herrschaft bedarf, sondern – anders gesprochen – die Bürgerinnen und Bürger in einem bestimmten Bereich ihre Angelegenheiten selbst ordnen können?
  • Welche Rolle hat der Staat in sozialen Netzwerken, wird er ein Akteur unter vielen?
  • Ermöglicht das Internet Formen der Legitimations-Vermittlung jenseits von Wahlen und Abstimmungen, die das verfassungsrechtlich erforderliche Legitimations-Niveau erreichen?
  • Inwiefern verändert das Internet die Voraussetzungen, unter denen eine öffentliche Meinungsbildung als „frei“ angesehen werden kann? Mit den Fragen, etwa welche Rolle Vermachtungen im Bereich der Intermediaire hier spielen können, setzt sich die Projektgruppe Medienordnung auseinander.

Unter dem Stichwort der „Partizipation“ wird oft die direkte Teilnahme an Entscheidungen der Staatsgewalten und ihren Entscheidungsprozessen durch Bürgerinnen und Bürger bezeichnet. Traditionelle Instrumente sind Volksentscheide, deren Möglichkeiten auf Bundesebene verfassungsrechtlich eng begrenzt sind, einige Länderverfassungen den Ländern selbst, aber auch den Kommunen größere Spielräume einräumen (etwa Art. 72 f. bei BayLV).

  • Welche neuen Möglichkeiten der Partizipation ermöglicht die Internet-basierte Kommunikation und Interaktion?

1.2. Repräsentation

Sofern die Bürgerinnen und Bürger ihre Angelegenheiten nicht selbst regeln, sondern Aufgaben des Staates betroffen sind, bedarf es der Repräsentation der Bürgerinnen und Bürger, vor allem der parlamentarischen und durch die Abgeordneten (Beyme 1999).

Bei der Meinungs- und Willensbildung und schließlich der Repräsentation spielen die Parteien als dauerhafte Vereinigungen von Bürgerinnen und Bürgern eine besondere Rolle (Art. 21 Abs. 1 GG), auch verfassungsrechtlich ist anerkannt, dass sie eine gewisse Zwitterrolle zwischen Zivilgesellschaft und Staat einnehmen. Auch dieses komplexe, fein austarierte System der Repräsentation wird durch die Möglichkeiten der Internet-Kommunikation herausgefordert, und zwar in vielen Hinsichten.

Das Parlament und seine Teile und auch die einzelnen Abgeordneten können unter jenseits der klassischen Institutionen, etwa der Massenmedien und der Parteien, Verbindungen zu den Bürgerinnen und Bürgern und einzelnen Gruppen herstellen bzw. anders herum diese Gruppen zu den Abgeordneten oder parlamentarischen Gremien. Dies kann die demokratische Rückbindung an das Volk intensivieren und Begründungszusammenhänge schaffen, die auf der Ebene der Akzeptanz das parlamentarische System stützen. Es kann auf der anderen Seite aber auch zur Erosion der traditionellen Institutionen (Massenmedien, Parteien) führen, ohne einen funktionalen Ersatz zu schaffen. Zudem kann etwa ein ständiger Begründungs“zwang“ im Hinblick auf die Freiheit des Mandats der Abgeordneten diskutiert werden. Auch hier stellen sich weit reichende Fragen:

  • Welche Entwicklungen sind hier erwartbar und wie sind sie zu bewerten? Welche Muster der Nutzung von Partizipationsmöglichkeiten sind bereits zu beobachten?
  • Inwieweit verändern die interaktiven Kommunikationsformen in der Digitalen Gesellschaft das Verhältnis Bürger-Parlament strukturell? Hier sind Aspekte der unmittelbaren Beteiligung an parlamentarischen Entscheidungsfindung im Sinne der Eröffnung eines neuen Kanals der Mitbestimmung zu diskutieren. Hier stellt sich die Frage, wie sich dies zu der Repräsentation durch Abgeordnet in Wahlen verhält.
  • Wie kann die Nutzung Internet-basierter Kommunikation zur Verbesserung der Entscheidungsfindung etwa durch Einspeisen von Expertise beitragen?

1.3. Regieren in der digitalen Gesellschaft

Dass Regierung und Verwaltung in jedem denkbaren Bereich versuchen, ihre Arbeit durch „elektronische Behördendienste“ (EU-Kommission 2010) optimieren ist – jedenfalls dem Anspruch nach – eine Selbstverständlichkeit, über deren konkrete Umsetzung man im Einzelfall natürlich jeweils streiten kann. Dies gilt auch für die digitale Abbildung von Verwaltungsvorgängen etwa durch elektronische Akten (BMI 2010). Legt man wiederum die Formulierung der EU-Kommission zugrunde, so bezweckt das Electronic Government die „innovative, nachhaltige und intelligent handelnde Behörde“. Auch hier stellen sich allerdings übergreifende Fragen:

  • Bedarf es einer über die Effizienzsteigerung im Einzelfall hinaus gehenden Veränderung des Regierungshandelns etwa im Sinne eines „Direct Government“, wie es in Großbritannien propagiert wird (www.direct.gov.uk)? In welchem Verhältnis steht dies zu einer verstärkten Partizipation von Bürgerinnen und Bürgern bei Einzelentscheidungen (s.o. 1.2.)? Kann dies etwa dazu führen, dass die Anforderungen an eine demokratische, durch Parlamentsgesetz vermittelte Legitimation ergänzt oder gar ersetzt wird?
  • Inwieweit sollte Regieren in der digitalen Gesellschaft ein transparentes Handeln sein, das den Gedanken von „Open Government“ verpflichtet ist? Welche Vor- und Nachteile sind mit einer solchen Entwicklung verbunden?
  • Welche Potentiale und Risiken ergeben sich durch eine Öffnung bislang interner Datenbestände für die Nutzung durch Dritte („Open Data“)?

Neben den Fällen, in denen Regierungs- und Verwaltungshandeln effektiver, effizienter und partizipativer werden kann, wird diskutiert, dass in bestimmten Fällen internet-basierte Kommunikation und Interaktion dazu führen kann, dass das staatliche Regelungskonzept sich grundlegend verändert, etwa indem sich der Staat auf eine Gewährleistungsverantwortung zurückzieht, und die betroffenen Angelegenheiten mittels Internet-Infrastruktur selbst regulieren oder die Regelungsstrukturen im Zusammenspiel mit staatlichen Regeln bestimmen. Hier stellen sich die folgenden Fragen:

  • In welchen Feldern kann in der digitalen Gesellschaft stärker auf Selbst- oder Co-Regulierung zurückgegriffen werden? Welche Rolle kann das Internet dabei spielen?
  • Welche Konsequenzen hat dies für die Erreichung der Regelungsziele, aber auch für die demokratische Legitimation und die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit?

Die zuvor aufgeführten grundsätzlichen Fragen bilden den Hintergrund für einige Überlegungen im Bereich Demokratie und Staat, die im Folgenden dargestellt werden sollen.

Ergänzungsvorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

1.1.4 Demokratie der Gründe

Der digitale Wandel der Gesellschaft bietet die Chance, die Möglichkeiten der Demokratie zu erweitern. Demokratie heißt Herrschaft des Volkes. In der politischen Wirklichkeit tritt dem Bürger allerdings eine oft ferne Staatsgewalt mit der durchsetzbaren Macht des Rechts gegenüber. In unserer komplexen hochspezialisierten Massengesellschaft ist eine Identität von Regierenden und Regierten zwar nicht praktikabel und politische Repräsentation notwendig und sinnvoll. Eine Herrschaft des Volkes verdient aber nur diesen Namen, wenn sich jeder Adressat des Rechts auch als dessen Autor verstehen kann. [Fußnote: Habermas, J. (1992): Faktizität und Geltung, Frankfurt am Main] Eine digital vernetzte Demokratie ermöglicht die Erweiterung der Volkssouveränität durch eine stärkere substantielle Verknüpfung politischer Institutionen mit dem öffentlichen Prozess politischer Willensbildung.

Eine solche Offenheit der Demokratie meint nicht vereinzelte formale Partizipation (wie etwa in Volksentscheiden), sondern eine beständige inhaltliche Öffnung des politischen Prozesses an sich. In einer digital vernetzten Demokratie wirken sich dabei Umstände wie das technische Design einer digitalen Plattform und ihre inhaltliche Architektur unter Umständen unmittelbar auf Art und Umfang der Beteiligung aus.

Als Teil des Souveräns hat jeder Bürger ein Recht auf Rechtfertigung jeder institutionellen politischen Handlung. [Fußnote: Forst, R. (2007): Das Recht auf Rechtfertigung, Frankfurt am Main] Demokratische Legitimation fordert dann offenen Zugang und Beteiligung am genuin politischen Prozess des Abwägens von Positionen und Gründen (Deliberation). Erst eine umfassende Pflicht zur politischen Offenheit und Begründung (Transparenz) der Legislative, Exekutive und Judikative ermöglicht eine wirklich substantielle öffentliche Debatte und Kritik. Nur so erhält auch Vielfalt und Differenz neben der Mehrheit ihren politischen Entfaltungsraum. [Fußnote: Brunkhorst, H. (1994): Demokratie und Differenz, Frankfurt am Main] Volksherrschaft verwirklicht sich als Demokratie der Gründe. Die während der Beratungen nachvollziehbare, rationale Abwägung von Gründen vor und während der Entscheidung erhöht dabei nicht nur die Identifikation des Einzelnen mit dem Staat sondern steigert zugleich die Legitimität der Entscheidungen. Eine digital vernetzte Demokratie kann dieser offenen Herrschaft der Gründe Realität verleihen, wenn sie die folgenden Fragen klärt:

  • Wie können die digitalen Technologien mehr Transparenz und Offenheit der politischen Institutionen und der Prozesse politischer Deliberation befördern?
  • Welche neuen Formen substantieller Beteiligung an der Arbeit politischer Institutionen sind möglich und wie lässt sich deren Responsivität für öffentliche Kritik auf allen Stufen des politischen Prozesses erhöhen?
  • Was für neue politische Öffentlichkeiten entstehen und wie lassen sich deren Potentiale für den Prozess der politischen Willensbildung nutzen?
  • Wie können digitale Technologien die politische Vielfalt steigern und soziale Inklusion ermöglichen?
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