Fortsetzung zu 1.3.4 Anforderungen an die Gestaltung digitaler politischer Partizipation
°1. Zunächst bedarf es einer klaren Festlegung der inhaltlichen Form der Beteiligung. Geht es um Information, Debatte, Entscheidung oder eine Mischung aus diesen Formen. Ein Mix aus intensiveren und zusätzlichen verkürzten Beteiligungsformen wie Polling und Rating kann dabei die Kreise der aktiven Partizipation ausweiten.
°2. Phase und Grad der Beteiligung muss gleich zu Beginn bestimmt werden. Eine verbindliche Festlegung auf eine klare politische Auswirkung der Ergebnisse (Bsp. Gesetzesnovelle) setzt Anreize zur aktiven Beteiligung. Dabei können Grad und Formen der Partizipation davon abhängen, in welcher Phase eines politischen Prozesses Bürger beteiligt werden sollen (siehe unten 2.1). In der Phase von Agenda-Setting und politischer Konzeptionsarbeit ist etwa zusätzlicher Raum für Kreativität und alternative Lösungen wichtig.
°3. Die Ausgestaltung der Partizipation hängt entscheidend davon ab, welche und wie viele Akteure angesprochen werden sollen. Auch wenn es nach demokratischen Grundsätzen gilt, möglichst viele und möglichst unterschiedliche Akteure zu beteiligen, kann es manchmal sinnvoll sein, ein Angebot speziell auf eine Zielgruppe (Bsp. Experten) zuzuschneiden.
°4. Zeitlich erhöht eine möglichst frühe Beteiligung die Glaubwürdigkeit der Partizipation. Eine klare Kommunikation der Zeitspanne und strukturellen Abläufe der Beteiligung (Bsp. Diskussion- und Abstimmungsphasen) setzt weitere Anreize zur Aktivität. Eine langfristige und regelmäßige Beteiligung kann Vertrauen schaffen und ermöglicht auf allen Seiten Lernprozesse und Entwicklungen.
°5. Die politische Einbettung und Rückkopplung entscheidet über die Nachhaltigkeit der Partizipation. Digitale Beteiligung kann das Vertrauen der Bevölkerung in Politiker und politische Institutionen stärken, aber auch wieder schwächen, wenn die Ergebnisse nicht tatsächlich Planungen und Entscheidungen beeinflussen, die Verwendung von Beiträgen nicht von Anfang an für alle sich Beteiligenden und für Beobachter deutlich wird, die Effekte nicht später auch nachvollziehbar dokumentiert werden und die Beteiligungsmöglichkeiten nicht in Folgeprozessen fortgesetzt werden. Maßgeblich für das Vertrauen und eine nachhaltige Einbettung ist auch, wer die Plattform betreibt (Host) und im Zweifel die deliberativen Normen um- und durchsetzt.
°6. Bei deliberativen Normen sind transparente Strukturen besonders wichtig. Foren für einen Meta-Diskurs über prozedurale Regeln und zusätzliche Konfliktlösungsmechanismen können hier zusätzlich Vertrauen schaffen. Für viele politische Beteiligungsplattformen wird eine Moderation sinnvoll sein, um Informationen aufzubereiten, Debatten zu strukturieren und verschiedene Ergebnisse zu verknüpfen. Allerdings sollte nicht unterschätzt werden, welche Skepsis bei den Nutzern durch eine Moderation entstehen kann und möglichst ein transparentes Moderationsverfahren gewählt werden. Alternativ oder ergänzend können Reputations- und Ratingssysteme zur Bewertung einzelner Beiträge oder Vorschläge eingesetzt werden. Wichtig sind eine grundsätzliche Beteiligungsgleichheit und Transparenz durch Veröffentlichung aller Beiträge, wo immer dies noch vertretbar ist. Bei Abstimmungen sollte das Verfahren deutlich dargelegt werden. Falls Delegation von Stimmen zugelassen wird, sollten Gründe für deren sachliche Legitimation erkennbar und darlegbar sein.
°7. Technologisch muss eine Entscheidung über die Kanäle der Partizipation getroffen werden. Eine Kombination synchroner und asynchroner Formate (Bsp. Chat/Twitter und Forum/Wiki) kann dabei die Intensität des Dialoges und der Partizipation erhöhen. Eine Öffnung für verschiedene Kanäle und Formate integriert kulturelle Gewohnheiten unterschiedlicher Nutzergruppen. Die Kompabilität und Innovation des Systems kann durch offene Codes sichergestellt werden.
°8. Die visuelle Darstellung sollte eine direkte Rückkopplung durch eine Form mitlaufender Nachführung der Auswirkung (Tracking) und/oder zeitlich versetzter Dokumentation und Archivierung (Tracing) ermöglichen. ¬Wer sich beteiligt, will wissen, was mit seinem Beitrag passiert und was er bewirkt. Die Visualisierung sollte allerdings möglichst neutral und zurückhaltend sein, um die Entscheidung nicht übermäßig zu beeinflussen.
°9. Die Plattform sollte eindeutig offenlegen, welche Daten gesammelt werden und nur die wirklich notwendigen persönlichen Daten erheben und speichern. Gegebenenfalls kann auch ein anonymer Zugang ermöglicht werden. Nur eine klare verbindliche Festlegung zum Datenschutz nach den allgemeinen Standards, eventuell mit unabhängiger Kontrolle kann dazu das für eine Partizipation notwendige hohe Vertrauen der Nutzer sichern.
°10. Die Zugänglichkeit der Plattform entscheidet wesentlich über die tatsächliche Partizipation. Zugänglichkeit setzt dabei zunächst das Wissen um die Existenz des Angebots voraus. Das Angebot sollte umfassend mit bestehenden Ressourcen und Angeboten verknüpft und beworben werden. Bereichsübergreifende One-Stop-Plattformen erhöhen die Sichtbarkeit und vereinfachen den Zugang. Auch ein Kommunikations-Mix kann das Angebot für viele zugänglicher und attraktiver gestalten. Eine Offline-Anbindung ermöglicht auch nicht so Online-affinen Bürgern einen Zugang zur digitalen Partizipation.
silversurfer
Und was ist mit diesem Tool? Hat man die enquetebeteiligung auf diese Grundsätze hin evaluiert? Hier würde ich ganz klar eine Studie vorschlagen, die enquetebeteiligung auf diese Richtlinien hin untersucht.