03.02.05 Regieren und Verwalten in der digital vernetzten Welt: Chancen und Herausforderungen von E-Government Teil 1

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  • 03.02.05 Regieren und Verwalten in der digital vernetzten Welt: Chancen und Herausforderungen von E-Government Teil 1 (Originalversion)

    von EnqueteBuero, angelegt
    1 [Dieses Kapitel wird von CDU/CSU und FDP streitig gestellt,
    2 die jedoch einen Alternativtext vorgelegt haben, siehe:
    3 www.bundestag.de/internetenquete/dokumentation/Sitzungen/201
    4 20625/A-Drs_17_24_053_C_-_PG_Demokratie_und_Staat_Alternativ
    5 text_CDU_CSU_und_FDP_Kap__3_3.pdf]
    6
    7
    8
    9
    10
    11 E-Government – eine Frage der Demokratie
    12
    13 Programme, Software, technische Architekturen und Standards
    14 setzen stets auch rechtliche sowie soziale Normen [FN: Siehe
    15 dazu: Lawrence Lessig: Code and Other Laws of Cyberspace,
    16 New York 1999 (Basic Books)]. Offenheit, Transparenz und
    17 Freiheit im Netz hängen entscheidend von seiner Architektur
    18 ab. Bei Entscheidungen über öffentliche IT-Infrastrukturen
    19 werden somit Weichen gestellt, die zentrale Maximen unserer
    20 Gesellschaft betreffen. Gewaltenteilung, Föderalismus,
    21 kommunale Selbstverwaltung, kulturelle Teilhabe und
    22 informationelle Selbstbestimmung – all diese Prinzipien
    23 müssen sich auch im Netz widerspiegeln, ebenso wie unsere
    24 Grundrechte wie Meinungs-, Presse- und Koalitionsfreiheit.
    25 Die Gestaltung und Umsetzung öffentlicher
    26 E-Government-Projekte ist eine sehr komplexe Aufgabe, weil
    27 der Technikeinsatz – sowohl in Bezug auf die Auswahl der
    28 Technik, ihr Aufbau, ihre Integration in Arbeits- und
    29 Geschäftsabläufe sowie die Frage, wer sie betreibt und
    30 kontrolliert – immer auch weitere Auswirkungen zur Folge
    31 haben kann, beispielsweise sozialer oder politischer Art.
    32 Hinzu kommt, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen nicht
    33 immer auf die Logik technischer Abläufe ausgerichtet sind.
    34 Teilweise werden daher gesetzliche Änderungen erforderlich,
    35 teilweise muss auf technisch Mögliches bewusst aus
    36 rechtlichen und demokratischen Gründen verzichtet werden.
    37
    38 IT-basiertes Regieren und Verwalten (E-Government) birgt
    39 nicht nur großes Potenzial für neue, bessere und
    40 effizientere gemeinwohlorientierte öffentliche Dienste sowie
    41 neue Formen guter Arbeit, sondern auch neue Möglichkeiten
    42 der Teilhabe und Partizipation der Bürger/innen sowie neue
    43 Geschäftsmodelle für Unternehmen. E-Government kann aber
    44 auch, wenn die politischen und organisatorischen
    45 Rahmenbedingungen nicht stimmen, das Gegenteil bewirken:
    46 Soziale Ausgrenzung, Entdemokratisierung, verstärkte
    47 Überwachung, Abbau von Beschäftigtenrechten, einen Anstieg
    48 an Bürokratie und enorme Kosten für den Steuerzahler.
    49 Generell vollzieht sich derzeit eine rasante Modernisierung
    50 der öffentlichen Einrichtungen mit weitreichenden Folgen für
    51 Bürger/innen und Beschäftigte. Auf EU-, Bundes- und
    52 Landesebene wurden neue rechtliche Grundlagen und
    53 Rahmenbedingungen geschaffen, Geschäftsprozesse und
    54 Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung zu
    55 standardisieren, über elektronische Medien zu erbringen und
    56 zugänglich zu machen. Dabei hat die Zusammenarbeit von Bund
    57 und Ländern in der Informationstechnik der öffentlichen
    58 Verwaltungen Verfassungsrang erhalten über Artikel 91c
    59 Grundgesetz (vgl. 3.2.1.). Darauf basiert das rechtliche
    60 Fundament für den IT-Planungsrat von Bund und Ländern unter
    61 ausschließlich beratender Beteiligung von Kommunen und
    62 Datenschützern. Die Sozialpartner sind bisher in die Arbeit
    63 des IT-Planungsrates nicht systematisch eingebunden.
    64
    65 Eine zentrale Herausforderung für den Staat besteht darin,
    66 eine demokratische Raumordnung für die
    67 Informationsgesellschaft zu schaffen. Er muss dafür
    68 rechtliche, technische und soziale Standards setzen und die
    69 Daseinsvorsorge garantieren. Dabei stellt sich für den Staat
    70 die Frage, wie er sowohl den Bürger/innen als auch den
    71 Unternehmen guten und kosteneffizienten Service anbietet,
    72 der dem technischen Stand der Zeit entspricht, ohne jemanden
    73 von der Nutzung der staatlichen Angebote auszuschließen und
    74 wie er seiner Vorbildfunktion bei der Gestaltung der
    75 Architektur des Netzes mit offenen Standards und bei der
    76 Wahrung der Rechte von Bürger/innen und Arbeitnehmer/innen
    77 nachkommt.
    78
    79 Erfahrungen nutzen: Gestaltungskriterien für
    80 E-Government-Projekte
    81
    82 Etliche neue Verfahren innerhalb öffentlicher Verwaltungen
    83 sowie viele Online-Dienste für Bürger/innen und Firmen sind
    84 sehr erfolgreich. Gerade Behörden, die etwa in den Kommunen
    85 im engen Kontakt mit Bürger/innen stehen, entwickeln oft
    86 gute Ideen in Sachen E-Government. So werden beispielsweise
    87 schon in vielen Städten umfangreiche Online-Portale
    88 angeboten mit selbst entwickelten Leistungen für
    89 verschiedenste Lebenslagen. Diese reichen vom
    90 Kindergarten-Navigator bis zum Online-Wunschkennzeichen.
    91 Diese Ansätze können mit Möglichkeiten für die Nutzer/innen
    92 verknüpft werden, eigene Vorschläge für Applikationen und
    93 Webdienste gemäß des "Crowdsourcing-Prinzips" mit
    94 einzubringen.
    95
    96 Elektronischer Entgeltnachweis
    97
    98 Nicht alle staatlichen E-Government-Projekte sind indes
    99 gleichermaßen erfolgreich. Jüngstes Beispiel für die
    100 mangelnde öffentliche wie auch verwaltungsinterne Akzeptanz
    101 eines IT-Großprojektes ist der Elektronische
    102 Entgeltnachweis, ELENA. Die Einführung dieses Verfahrens
    103 wurde mit dem Ziel, Bürokratie zu mindern und Effizienz zu
    104 steigern, vom Bundesministerium für Wirtschaft und
    105 Technologie unter anderem im Zusammenhang mit der Förderung
    106 von elektronischen Signaturverfahren auf den Weg gebracht.
    107 Der Aufbau des elektronischen Entgeltnachweis-Verfahrens
    108 einschließlich einer Zentralen Speicherstelle benötigte
    109 mehrere hundert Millionen Euro. Es entstand eine zentrale
    110 Datensammlung mit rund 700 Millionen Einträgen, bei der der
    111 Bürger jedoch sein Recht auf Selbstauskunft nicht
    112 verwirklichen konnte. Im Jahr 2010 reichten mehr als 20.000
    113 Bürger/innen eine Sammelklage gegen das ELENA-Verfahren ein,
    114 insbesondere unter dem Aspekt der Vorratsdatenspeicherung
    115 [FN: Siehe:
    116 https://www.foebud.org/datenschutz-buergerrechte/arbeitnehme
    117 rdatenschutz/elena/verfassungsbeschwerde-elena-verfahrensges
    118 etz.pdf/view]. Vor allem kleinere Unternehmen kritisierten
    119 finanzielle Belastungen durch das ELENA-Verfahren; die
    120 Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände wies im
    121 Oktober 2010 darauf hin [FN: Schreiben vom 15.10.2010 der
    122 Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände (des
    123 Deutschen Städtetages, des Deutschen Landkreistages, des
    124 Deutschen Städte- und Gemeindebundes) siehe:
    125 http://governet.de/alotta/user/governet.de/img/000/004/4216.
    126 pdf], dass der erhoffte Bürokratieabbau mittelfristig nicht
    127 eintreten und die finanzielle Belastung der öffentlichen
    128 Haushalte durch das neue Verfahren enorm steigen würde. Im
    129 Herbst 2011 wurde die gesetzliche Regelung zur Aufhebung von
    130 Vorschriften zum Verfahren des elektronischen
    131 Entgeltnachweises verabschiedet und das Projekt eingestellt.
    132 Im Zusammenhang mit der Einstellung des ELENA-Verfahrens
    133 beschloss das Bundeskabinett ein Folgeprojekt des
    134 Bundesministeriums für Arbeit und Soziales „Optimiertes
    135 Meldeverfahren in der sozialen Sicherung“ (OMS) [FN: Siehe:
    136 https://www.projekt-oms.de/%28S%28im15z1z2k0afgqbp14sydieu%2
    137 9%29/default.aspx]. Regierung und Verwaltung stehen nun vor
    138 der Herausforderung, Kriterien zu definieren, die, unter
    139 Berücksichtigung des Datenschutzes, ein kostentechnisch
    140 vertretbares bürgerfreundliches Verfahren sichern.
    141
    142 Nationale und internationale E-Government-Projekte in der
    143 Praxis
    144
    145 Auch die Einführung EU-weit vernetzten Verwaltungshandelns
    146 im Rahmen des „Einheitlichen Ansprechpartners“ der
    147 EU-Dienstleistungsrichtlinie [FN: ver.di Schriftenreihe
    148 “Innovation + Neue Medien + Beteiligung: Öffentliche Dienste
    149 im Wandel”, Band 5: “Öffentlicher Dienst und die bundesweite
    150 Umsetzung der EU-Dienstleistungrichtlinie”, Dezember 2008;
    151 siehe: http://www.governet.de/6/viewentry/2659] hat sich als
    152 schwierig erwiesen. Statt der versprochenen Reduzierung der
    153 Bürokratie durch IT brachte das Vorhaben bislang vor allem
    154 deren Ausbau mit sich. Kritik hat auch die VerBIS-Software
    155 für das "Vermittlungs-, Beratungs- und Informationssystem"
    156 der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Job-Center auf
    157 sich gezogen. In Verbindung mit der für jeden über das
    158 Internet zugänglichen Jobbörse konnten zeitweise nicht nur
    159 die Jobvermittler auf sensible persönliche Daten der
    160 Arbeitssuchenden zugreifen, sondern auch Dritte.
    161 Häufig werden IT-Projekte in Kooperation mit privaten
    162 Unternehmen realisiert. Öffentlich-private Partnerschaften
    163 und Outsourcing können jedoch in einem Spannungsverhältnis
    164 zu den Anforderungen an die Selbstverwaltung und
    165 Steuerungsfähigkeit der öffentlichen Hand stehen.
    166 Geschäftsverträge solcher "Public Private Partnerships"
    167 (PPP) sind oft nicht öffentlich zugänglich. Die Transparenz
    168 öffentlichen Handelns zu stärken, ist jedoch eine der großen
    169 Chancen des E-Government.
    170
    171 Lehrreiche Erfahrungen ergaben sich auch im Rahmen eines
    172 E-Government-Projekts in Franken, das unter dem Motto
    173 "Würzburg integriert" lief. Dabei sollte ein Unternehmen die
    174 Verfahrensabläufe der Stadt am Main elektronisch auf einer
    175 zentralen Plattform zusammenführen. So sollte eine
    176 schnellere Bearbeitung von Verwaltungsvorgängen und mehr
    177 Bürgernähe bei gleichzeitiger Kosteneinsparung ermöglicht
    178 werden. Die Zusammenarbeit wurde jedoch mittlerweile mangels
    179 konkreter Einsparmöglichkeiten und wegen
    180 datenschutzrechtlicher Bedenken beendet. Die Stadtverwaltung
    181 will E-Government nun in Eigenregie durchführen. Die genauen
    182 Kosten des gescheiterten Projekts sind nicht bekannt. [FN:
    183 Unter dem Titel `„Würzburg integriert!“ ein gewaltiger
    184 Flopp´ hat der Bund der Steuerzahler das im Jahr 2011
    185 gescheiterte Würzburger E-Government-Projekt in sein
    186 Schwarzbuch aufgenommen. Der Artikel endet mit folgenden
    187 Worten: „Wie viel Steuergelder für das mit viel
    188 Vorschusslorbeeren versehene Projekt schließlich ausgegeben
    189 wurden, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Auf entsprechende
    190 Anfragen des Bundes der Steuerzahler hüllt sich die Stadt
    191 Würzburg in Schweigen. Aus welchen Gründen wurde das
    192 Pilotprojekt gleichsam zur Geheimsache erklärt? Wurde es
    193 etwa zu einer elektronischen Odysee zu Lasten der Würzburger
    194 Steuerzahler?“. Siehe:
    195 http://schwarzbuch.steuerzahler.de/Schwarzbuch/4213b1605/ind
    196 ex.html?katalogkey={%22search_katitemauswid%22%3A{%226%22%3A
    197 [327]}}]
    198
    199 Adäquate Wirtschaftlichkeitsberechnung
    200
    201 Insgesamt stellt sich die Herausforderung, öffentlichen
    202 IT-Projekten grundsätzlich eine sachgerechtere
    203 Wirtschaftlichkeitsberechnung und Technikfolgenabschätzung
    204 vorausgehen zu lassen. Eine Herausforderung bei dieser
    205 Analyse ist die Schwierigkeit, die Kosten des IT-Einsatzes
    206 vor Inbetriebnahme der neuen IT-basierten Infrastruktur
    207 abzuschätzen. Es ist geradezu charakteristisch für die
    208 Entwicklung von IT-Produkten, dass bei Vertragsschluss nicht
    209 wirklich klar ist, welche Kosten durch die verschiedenen in
    210 Auftrag gegebenen Funktionen entstehen werden [FN: Siehe
    211 hierzu beispielhaft die Planungsbudgetorganisation der
    212 E-Government-Projekte des Landes Hessen, Projekthandbuch
    213 (Strukturen und Organisation sowie Planung, Durchführung und
    214 Steuerung):
    215 http://www.egovernment.hessen.de/irj/eGovernment_Internet?ci
    216 d=faeaa2b331a7513f44d3f191bdad8ae8]. So scheitern nach einer
    217 regelmäßig durchgeführten Studie [FN: Standish Group (2009)
    218 Chaos 2009 Summary and EPPM Study, Standish Group, West
    219 Yarmouth MA.] 24% aller IT-Projekte vollständig, 44% aller
    220 IT-Projekte verzögern sich oder können nicht im
    221 vorhergesehenen Budgetrahmen beendet werden.
    222
    223 Vor diesem Hintergrund stehen die Auftraggeber der
    224 eGovernment-Dienstleistungen, in der Regel die öffentliche
    225 Hand, vor der Herausforderung, umfassende Kostenanalysen
    226 durchzuführen. Beispielhaft können in der Vergangenheit die
    227 Entwicklung von IT-Dienstleistungen aufgeführt werden, bei
    228 denen die zu Beginn veranschlagten Kosten durch die
    229 endgültig entstandenen Kosten ein Vielfaches überstiegen.
    230 [FN: Beispiele: Virtueller Arbeitsmarkt der Arbeitsagentur,
    231 http://pressoffice.talkabout.de/uploads/media/arbeitsagentur
    232 _02.pdf, Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Peter Mertens, Universität
    233 Erlangen-Nürnberg, Wirtschaftsinformatik
    234 http://www.wi1-mertens.wiso.uni-erlangen.de/veroeffentlichun
    235 gen/download/SWP_Arbeitsbericht.pdf, Autobahn-Maut Toll
    236 Collect,
    237 http://www.heise.de/newsticker/meldung/LKW-Maut-Wikileaks-ve
    238 roeffentlicht-geheime-Maut-Unterlagen-868208.html,
    239 http://mirror.wikileaks.info/wiki/Toll_Collect_Vertraege,_20
    240 02] Große IT-Projekte gestalten sich für öffentliche
    241 Haushalte daher häufig als riskante Projekte. [FN:
    242 http://www.heise.de/newsticker/meldung/Hessens-CIO-Deutschla
    243 nd-Online-ist-ein-einziger-Reinfall-170939.html]
    244 Versprochene Kostensenkungen treten nicht zwangsläufig ein.
    245 [FN: Memo Universität Bremen, Werner Rügemer, Mythos der
    246 ökonomischen Effizienz,
    247 http://www.memo.uni-bremen.de/docs/m7704.pdf]
    248 Somit sind wesentliche Herausforderungen für laufende und
    249 zukünftige E-Government-Projekte, dass sie solide und
    250 umfassend geplant und praxistauglich sind, um ein späteres
    251 Scheitern auszuschließen. Dabei hat sich gezeigt, dass eine
    252 frühzeitige Definition des zu erwartenden Nutzens und eine
    253 realistische Kostenkalkulation sowie eine frühzeitige
    254 Einbeziehung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die
    255 Gewährleistung der Unterstützung des Projektes durch die
    256 Führungskräfte eine besondere Rolle spielen.
    257
    258 Eine weitere große Herausforderung ist die
    259 datenschutzkonforme Gestaltung von E-Government-Prozessen,
    260 die ebenfalls Eingang in die Wirtschaftlichkeitsberechnungen
    261 finden sollte. Zudem stellt sich die Frage, wie öffentliche
    262 Führungskräfte für Fragen des Schutzes der Daten, sowohl von
    263 Bürgern als auch Beschäftigten, sensibilisiert werden
    264 können, so dass sie diese Fragestellungen bereits in der
    265 Phase der ersten Konzeptionierung von E-Government-Abläufen
    266 und bei der Zusammenstellung von Entwicklungsteams
    267 berücksichtigen werden und wie sie aus der Praxis
    268 vorangegangener E-Government-Projekte lernen können.
    269 Ein Problem besteht, wenn die öffentliche Hand nicht in
    270 ausreichendem Maß über qualifiziertes IT-Personal im eigenen
    271 Hause verfügt. In diesem Fall wäre sie nicht in der Lage,
    272 klar beurteilen zu können, was sie einkauft, könnte keine
    273 gemeinwohlorientierten Ausschreibungen im IT-Bereich
    274 formulieren, könnte die Kosten nicht realistisch einschätzen
    275 und wäre nicht ausreichend unabhängig von der Expertise der
    276 Vertreter der IT-Branche, die öffentliche Aufträge im
    277 IT-Bereich akquirieren wollen.
    278
    279 Akzeptanzfaktoren bei E-Government-Projekten
    280
    281 Schließlich hängt die Akzeptanz entsprechender Projekte auch
    282 davon ab, dass die Kosten nicht gesteigert und die Qualität,
    283 Effizienz und die Bürgernähe der Verwaltung verbessert und
    284 bestehende Rechte der Bürger und Beschäftigten nicht
    285 abgebaut werden. Der Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger
    286 sowie des beteiligten Personals bildet den Kern der
    287 E-Governmentprojekte. Ist dieser nicht evident, können
    288 Akzeptanzprobleme entstehen, die wiederum schnell zu
    289 Reibungsverlusten führen können, die die Sinnhaftigkeit der
    290 E-Governmentmaßnahmen in Frage stellen.
    291 Ein Akzeptanzproblem und Vertrauensverlust in
    292 E-Government-Verfahren kann auch durch parallel laufende
    293 staatliche Verfahren entstehen, wie dem verfassungsrechtlich
    294 nicht gedeckten Einsatz von Staatstrojanern [FN: Die im
    295 Herbst 2011 vom Chaos Computer Club, CCC , analysierte
    296 Software (Siehe:
    297 http://ccc.de/de/updates/2011/staatstrojaner) mit der
    298 Routine "0zapftis" war eigentlich zum Abhören
    299 verschlüsselter Internet-Telefonate im Rahmen der
    300 Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) gedacht.
    301 Sie enthielt aber weit darüber hinausgehende
    302 Funktionalitäten zum Ausforschen privater Rechner, die das
    303 Bundesverfassungsgericht ausdrücklich verurteilt hatte.]
    304 durch die Sicherheitsbehörden im Jahre 2011. Dies wurde
    305 deutlich, beim kurz danach erfolgten Aufruf [FN: Aufruf des
    306 BSI vom 11.01.2012 siehe:
    307 https://www.bsi.bund.de/ContentBSI/Presse/Pressemitteilungen
    308 /Presse2012/Hilfe-gegen-Schadsoftware_DNS-Changer_10012012.h
    309 tml] des Bundesamtes für Sicherheit in der
    310 Informationstechnik, BSI, zum Durchführen eines
    311 Online-Selbsttests [FN: Siehe: http://www.dns-ok.de], um die
    312 Befallenheit des eigenen PCs mit der Schadsoftware
    313 DNS-Changer zu überprüfen. Viele Bürgerinnen und Bürger
    314 fürchteten in diesem Zusammenhang, sich über die öffentliche
    315 Kontrollseite einen Staatstrojaner einzufangen. [FN: Siehe
    316 Focus Online:
    317 http://www.focus.de/digital/internet/angst-vor-dem-staatstro
    318 janer-internetnutzer-trauen-dns-ok-de-nicht_aid_701936.html]
    319 Dieser Vertrauensverlust stellt eine ernstzunehmende
    320 Herausforderung für öffentliche E-Government-Projekte dar.
    321
    322 [Fortführung unter 03.02.05 Teil 2]
  • 03.02.05 Regieren und Verwalten in der digital vernetzten Welt: Chancen und Herausforderungen von E-Government Teil 1 (Originalversion)

    von EnqueteSekretariat, angelegt
    1 In den letzten Jahren haben Bund, Länder und Kommunen eine
    2 Vielzahl von Onlinediensten und Internetportalen als
    3 wichtige Anlaufstellen aufgebaut. Die Angebote zeichnen
    4 sich durch eine sehr hohe inhaltliche Varianz aufgrund des
    5 breiten Spektrums öffentlicher Aufgaben und den rechtlichen
    6 Vorgaben durch das Grundgesetz (Gewaltenteilung,
    7 Ressortprinzip, Föderalismus, kommunale Selbstverwaltung
    8 und die Grundrechte [FN: beispielsweise das Recht auf
    9 informationelle Selbstbestimmung, Meinungsfreiheit, Presse-
    10 und Koalitionsfreiheit.]) aus. Sie sind damit auch Ausdruck
    11 der vorgegebenen Differenzierung der Verwaltung und
    12 spiegeln zum Teil unterschiedliche Digitalisierungskonzepte
    13 und -grade wider.
    14
    15 Die Ziele und Erwartungen von E-Government in Deutschland
    16 werden unterschiedlich gesehen. Während häufig
    17 Effizienzgewinne, Verbesserung des Bürgerservice und der
    18 Partizipationsmöglichkeiten, Erhöhung der Transparenz
    19 politisch-administrativen Handelns, Verbesserung der
    20 Arbeitsbedingungen, Befreiung von überflüssiger Bürokratie;
    21 Erleichterung von sinnvollen notwendigen Prozessen;
    22 Sicherung der Rechtmäßigkeit von Verwaltungshandeln,
    23 Baustein einer neuen Bürgergesellschaft, Ermöglichung von
    24 Barrierefreiheit angeführt werden, gibt es auch viele
    25 mahnende Stimmen, die vor überzogenen Erwartungen warnen.
    26 Sie können sich auch auf mehrere fehlgeschlagene Projekte
    27 der jüngeren Vergangenheit auf Bundesebene, wie
    28 beispielsweise das sog. ELENA-Verfahren (elektronischer
    29 Entgeltnachweis), oder aber auch auf Landes- oder
    30 kommunaler Ebene, wie beispielsweise das Projekt „Würzburg
    31 integriert“ berufen.
    32
    33 Dies zeigt, dass die Gestaltung und Umsetzung öffentlicher
    34 E-Government-Projekte eine sehr komplexe Aufgabe ist, weil
    35 der Technikeinsatz – sowohl in Bezug auf die Auswahl der
    36 Technik, ihr Aufbau, ihre Integration in Arbeits- und
    37 Geschäftsabläufe sowie die Frage, wer sie betreibt und
    38 kontrolliert – immer auch weitere Auswirkungen
    39 beispielsweise sozialer oder politischer Art zur Folge
    40 haben kann. Hinzu kommt, dass die rechtlichen
    41 Rahmenbedingungen nicht immer auf die Logik technischer
    42 Abläufe ausgerichtet sind. Teilweise werden daher
    43 gesetzliche Änderungen erforderlich, teilweise muss auf
    44 technisch Mögliches bewusst aus rechtlichen und
    45 demokratischen Gründen verzichtet werden.
    46
    47 Programme, Software, technische Architekturen und Standards
    48 setzen stets auch rechtliche sowie soziale Normen [FN: Vgl.
    49 Lawrence Lessig: Code and Other Laws of Cyberspace, New
    50 York 1999 (Basic Books)]. Offenheit, Transparenz und
    51 Freiheit im Netz hängen auch entscheidend von seiner
    52 Architektur ab. Bei Entscheidungen über öffentliche
    53 IT-Infrastrukturen werden somit Weichen gestellt, die die
    54 Grundsätze unserer Gesellschaft betreffen.
    55
    56 Generell vollzieht sich derzeit eine rasante Modernisierung
    57 der öffentlichen Einrichtungen mit weit reichenden Folgen
    58 für Bürgerinnen und Bürger sowie Beschäftigte. Auf EU-,
    59 Bundes- und Landesebene wurden neue rechtliche Grundlagen
    60 und Rahmenbedingungen geschaffen, Geschäftsprozesse und
    61 Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung zu
    62 standardisieren, über elektronische Medien zu erbringen und
    63 zugänglich zu machen. Dabei hat die Zusammenarbeit von Bund
    64 und Ländern in der Informationstechnik der öffentlichen
    65 Verwaltungen über Artikel 91c Grundgesetz Verfassungsrang
    66 erhalten (vgl. 3.2.1.). Darauf basiert das rechtliche
    67 Fundament für den IT-Planungsrat von Bund und Ländern unter
    68 beratender Beteiligung von Kommunen und
    69 Datenschutzaufsichtsbehörden.
    70
    71
    72 Erfahrungen nutzen: Gestaltungskriterien für
    73 E-Government-Projekte
    74
    75 Etliche neue Verfahren innerhalb öffentlicher Verwaltungen
    76 sowie viele Online-Dienste für Bürgerinnen und Bürger sowie
    77 Firmen sind sehr erfolgreich. Gerade Behörden, die etwa in
    78 den Kommunen, im engen Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern
    79 stehen, entwickeln oft gute Ansätze im Bereich des
    80 E-Governments. So werden beispielsweise in vielen Städten
    81 umfangreiche Online-Portale mit selbst entwickelten
    82 Leistungen für verschiedenste Lebenslagen angeboten. Diese
    83 reichen vom Kindergarten-Navigator bis zum
    84 Online-Wunschkennzeichen. Diese Ansätze können mit
    85 Möglichkeiten für die Nutzerinnen und Nutzer verknüpft
    86 werden, eigene Vorschläge für Applikationen und Webdienste
    87 gemäß des "Crowdsourcing-Prinzips" einzubringen.
    88
    89 In vielen Fachverwaltungen, insbesondere dort, wo
    90 gleichförmige Massenverfahren bearbeitet werden, besteht
    91 bereits jetzt ein sehr hoher Digitalisierungsgrad (z. B.
    92 Sozialverwaltung, Haushalts- und Kassenwesen,
    93 Personalverwaltung, Statistik, etc.). Auch funktioniert
    94 eine bereichsübergreifende Vernetzung über bestehende
    95 Organisationsgrenzen hinaus, beispielsweise beim
    96 Statistik-Netz oder beim Steuerverbund.
    97
    98 Der neue Personalausweis soll die Möglichkeiten einer
    99 sicheren elektronischen Kommunikation mit der Verwaltung
    100 verbessern. Behörden können nun Formulare im Internet
    101 anbieten, die der Bürger oder die Bürgerin ausfüllt und
    102 über die Online-Ausweisfunktion und mittels einer auf dem
    103 neuen Personalausweis speicherbaren elektronischen Signatur
    104 rechtsgültig unterschreiben kann. Mit der Nutzung des neuen
    105 Personalausweises entfallen für die Bürgerinnen und Bürger
    106 das Ausdrucken, handschriftliche Unterschreiben, der
    107 Postweg und die Abhängigkeit von Öffnungszeiten der
    108 zuständigen Behörden. Ziel des neuen Personalausweises ist
    109 es, die elektronischen Abläufe in der Verwaltung weiter zu
    110 vereinfachen. Mit dem Erwerb des neuen Personalausweises
    111 sind für die Bürgerinnen und Bürger allerdings auch höhere
    112 Kosten verbunden, da die Personalausweisgebührenverordnung
    113 entsprechend der gestiegenen Herstellungskosten und des
    114 Aufwandes der ausgebenden Stellen angepasst wurde. Zudem
    115 ist zu berücksichtigen, dass bisher erst 11 Millionen
    116 Menschen seit der Einführung im November 2010 einen neuen
    117 Personalausweis erhalten haben [FN: Klein, Manfred (2012):
    118 Mehr Schwung für eGovernment, eGovernment Computing,
    119 29.03.2012.http://www.egovernment-computing.de/projekte/arti
    120 cles/358153/], wovon ca. 30% die Online-Ausweisfunktion
    121 (eID-Funktion) freigeschaltet haben. Zudem ist die Anzahl
    122 der Angebote, bei der die Funktion eingesetzt werden kann,
    123 bisher noch begrenzt.
    124
    125 Auch DE-Mail verfolgt das Ziel einer rechtssicheren
    126 elektronischen Kommunikation zwischen Bürgerinnen und
    127 Bürgern und der Verwaltung. Internetdienstleister bieten in
    128 einer abgesicherten, verschlüsselten Zone die Möglichkeit,
    129 mit Behörden E-Mails auszutauschen. Verwaltungsbescheide
    130 können somit an die Bürgerinnen und Bürger mit
    131 DE-Mail-Konten rechtsverbindlich zugestellt werden. Eine
    132 Ende-zu-Ende-Verschlüsselung ist zwar gesetzlich nicht
    133 verpflichtend kann aber innerhalb des Angebotes eines
    134 Anbieters für DE-Mail zur Verfügung gestellt werden
    135 Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sich die
    136 einzelnen Verwaltungen (bzw. ihre zuständigen Mitarbeiter
    137 und Mitarbeiterinnen) sowie die Bürgerinnen und Bürger in
    138 diesen Systemen registrieren, ein DE-Mail Postfach
    139 einrichten und den Zugang eröffnen. Entscheidend für den
    140 Erfolg von DE-Mail im Bereich des E-Government wird auch
    141 sein, ob es gelingt, die neuen Kommunikationswege ohne
    142 Medienbrüche in die Abläufe innerhalb der Verwaltungen zu
    143 integrieren.
    144
    145
    146 Elektronischer Entgeltnachweis - ELENA
    147
    148 Nicht alle staatlichen E-Government-Projekte sind indes
    149 gleichermaßen erfolgreich. Ein Beispiel für die mangelnde
    150 öffentliche wie auch verwaltungsinterne Akzeptanz eines
    151 staatlichen IT-Projekts ist der Elektronische
    152 Entgeltnachweis, ELENA. Die Einführung dieses Verfahrens
    153 wurde mit dem Ziel, Bürokratie zu mindern und Effizienz zu
    154 steigern, von der damaligen Bundesregierung unter anderem
    155 im Zusammenhang mit der Förderung von elektronischen
    156 Signaturverfahren auf den Weg gebracht. Die jetzige
    157 Bundesregierung führt in diesem Zusammenhang an, dass das
    158 Verfahren unter anderem an der Nichtverbreitung der
    159 qualifizierten elektronischen Signatur gescheitert sei.
    160 [FN: Vgl. Deutscher Bundestag (2012): Antwort der
    161 Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Jan
    162 Korte, Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, weiterer
    163 Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. Drucksache 17/9805
    164 – ELENA-Nachfolgeprojekte Bea und OMS
    165 Bundestags-Drucksache. 17/9897
    166 http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/098/1709897.pdf]
    167
    168 Der Aufbau des elektronischen Entgeltnachweis-Verfahrens
    169 einschließlich einer zentralen Speicherstelle benötigte
    170 mehrere hundert Millionen Euro. Es entstand eine zentrale
    171 Datensammlung mit rund 700 Millionen Einträgen, bei der die
    172 Bürgerinnen und Bürger jedoch ihr Recht auf Selbstauskunft
    173 während des Speicherzeitraumes aus technischen Gründen
    174 nicht wahrnehmen konnten.
    175
    176 Zudem wurden in der politischen Diskussion und in einer im
    177 Jahr 2010 erhobenen und von 22.005 Bürgerinnen und Bürgern
    178 unterschriebenen Verfassungsbeschwerde erhebliche
    179 datenschutzrechtliche Bedenken gegen das beabsichtigte
    180 Verfahren geltend gemacht. Schließlich kritisierten vor
    181 allem kleinere Unternehmen die bereits entstandenen und
    182 ggf. noch weiter entstehenden finanziellen Belastungen
    183 durch das ELENA-Verfahren und den damit verbundenen
    184 erhöhten bürokratischen Aufwand. Auch die Bundesvereinigung
    185 der kommunalen Spitzenverbände wies im Oktober 2010 darauf
    186 hin, dass der erhoffte Bürokratieabbau mittelfristig nicht
    187 eintreten und die finanzielle Belastung der öffentlichen
    188 Haushalte durch das neue Verfahren enorm steigen würde [FN:
    189 Vgl. Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände
    190 (2010): Schreiben an den Bundesminister für Wirtschaft und
    191 Technologie, Rainer Brüderle, vom 15.Oktober 2010.
    192 http://www.bay-bezirke.de/downloads/9356c67d45d97c8650ec02bd
    193 b90de3d3_RS%2069%20Anlage.pdf]. Im Herbst 2011 wurde die
    194 gesetzliche Regelung zur Aufhebung von Vorschriften zum
    195 Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises
    196 verabschiedet und das Projekt eingestellt. Im Zusammenhang
    197 mit der Einstellung des ELENA-Verfahrens beschloss das
    198 Bundeskabinett ein Folgeprojekt des Bundesministeriums für
    199 Arbeit und Soziales „Optimiertes Meldeverfahren in der
    200 sozialen Sicherung“ (OMS)4. Regierung und Verwaltung stehen
    201 nun vor der Herausforderung, Kriterien zu definieren, die,
    202 unter Berücksichtigung des Datenschutzes, ein
    203 kostentechnisch vertretbares bürgerfreundliches Verfahren
    204 sichern.
    205
    206 Weitere praktische Erfahrungen mit E-Government-Projekten
    207 Die mit der durch die EU-Dienstleistungsrichtlinie
    208 verbundene Einführung eines „einheitlichen
    209 Ansprechpartners“ hat in Deutschland bisher nicht zu einer
    210 spürbaren Reduzierung der Bürokratie für betroffene
    211 Unternehmen geführt. Aufgrund der unterschiedlichen
    212 Umsetzung der Richtlinie in den Ländern variiert auch die
    213 jeweils zur Verfügung gestellte Technik.
    214
    215 Als Konzept gewann der virtuelle Arbeitsmarkt zwar im Jahre
    216 2002 noch den E-Government-Preis der Cebit und wurde damit
    217 zum IT-Prestige-Projekt der Bundesagentur für Arbeit. Mit
    218 der Umsetzung sank allerdings die Reputation des Projektes,
    219 da die geplanten Kosten von 65,5 Mio. Euro um einen
    220 dreistelligen Millionenbetrag überschritten wurden.
    221
    222 Hinzu kam, dass auch die Entwicklung des neuen Programms
    223 von Turbulenzen begleitet war. So sollte VerBIS
    224 (Vermittlungs-, Beratungs- und Integrationssoftware)
    225 ursprünglich nur für den Rechtskreis des SGB III ausgelegt
    226 werden. Dann wurde jedoch entschieden, dass auch die
    227 Vermittlungsfachkräfte der ARGEn damit arbeiten sollen. Da
    228 sich die Struktur des Programms jedoch nahezu in jeder
    229 Hinsicht deutlich von den bisher verwendeten Programmen
    230 unterscheidet, kam es zu entsprechenden Schwierigkeiten bei
    231 der täglichen Anwendung durch die Fachkräfte.
    232
    233 Zudem konnten in Verbindung mit der für jeden über das
    234 Internet zugänglichen Jobbörse zeitweise nicht nur die
    235 Jobvermittler auf persönliche Daten der Arbeitssuchenden
    236 zugreifen, sondern auch Dritte.
    237
    238 Negative Erfahrungen wurden auch im Rahmen eines
    239 E-Government-Projekts in Franken, das unter dem Motto
    240 "Würzburg integriert" lief, gemacht. Dabei sollte ein
    241 Unternehmen die Verfahrensabläufe der Stadt am Main
    242 elektronisch auf einer zentralen Plattform zusammenführen.
    243 So sollte eine schnellere Bearbeitung von
    244 Verwaltungsvorgängen und mehr Bürgernähe bei gleichzeitiger
    245 Kosteneinsparung ermöglicht werden. Die Zusammenarbeit
    246 wurde jedoch mittlerweile mangels konkreter
    247 Einsparmöglichkeiten und wegen datenschutzrechtlicher
    248 Bedenken beendet. Die Stadtverwaltung will E-Government nun
    249 in Eigenregie durchführen. Die genauen Kosten des
    250 gescheiterten Projekts sind nicht immer auf die Logik
    251 technischer Abläufe ausgerichtet sind. Teilweise werden
    252 daher gesetzliche Änderungen erforderlich, teilweise muss
    253 auf technisch Mögliches bewusst aus rechtlichen und
    254 demokratischen Gründen verzichtet werden.
    255
    256 IT-basiertes Regieren und Verwalten (E-Government) birgt
    257 nicht nur großes Potenzial für neue, bessere und
    258 effizientere gemeinwohlorientierte öffentliche Dienste
    259 sowie neue Formen guter Arbeit, sondern auch neue
    260 Möglichkeiten der Teilhabe und Partizipation der
    261 Bürger/innen sowie neue Geschäftsmodelle für Unternehmen.
    262 E-Government kann aber auch, wenn die politischen und
    263 organisatorischen Rahmenbedingungen nicht stimmen, das
    264 Gegenteil bewirken: Soziale Ausgrenzung,
    265 Entdemokratisierung, verstärkte Überwachung, Abbau von
    266 Beschäftigtenrechten, einen Anstieg an Bürokratie und
    267 enorme Kosten für den Steuerzahler.
    268 Generell vollzieht sich derzeit eine rasante Modernisierung
    269 der öffentlichen Einrichtungen mit weitreichenden Folgen
    270 für Bürger/innen und Beschäftigte. Auf EU-, Bundes- und
    271 Landesebene wurden neue rechtliche Grundlagen und
    272 Rahmenbedingungen geschaffen, Geschäftsprozesse und
    273 Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung zu
    274 standardisieren, über elektronische Medien zu erbringen und
    275 zugänglich zu machen. Dabei hat die Zusammenarbeit von Bund
    276 und Ländern in der Informationstechnik der öffentlichen
    277 Verwaltungen Verfassungsrang erhalten über Artikel 91c
    278 Grundgesetz (vgl. 3.2.1.). Darauf basiert das rechtliche
    279 Fundament für den IT-Planungsrat von Bund und Ländern unter
    280 ausschließlich beratender Beteiligung von Kommunen und
    281 Datenschützern. Die Sozialpartner sind bisher in die Arbeit
    282 des IT-Planungsrates nicht systematisch eingebunden.
    283
    284 Eine zentrale Herausforderung für den Staat besteht darin,
    285 eine demokratische Raumordnung für die
    286 Informationsgesellschaft zu schaffen. Er muss dafür
    287 rechtliche, technische und soziale Standards setzen und die
    288 Daseinsvorsorge garantieren. Dabei stellt sich für den
    289 Staat die Frage, wie er sowohl den Bürger/innen als auch
    290 den Unternehmen guten und kosteneffizienten Service
    291 anbietet, der dem technischen Stand der Zeit entspricht,
    292 ohne jemanden von der Nutzung der staatlichen Angebote
    293 auszuschließen und wie er seiner Vorbildfunktion bei der
    294 Gestaltung der Architektur des Netzes mit offenen Standards
    295 und bei der Wahrung der Rechte von Bürger/innen und
    296 Arbeitnehmer/innen nachkommt.
    297
    298 Erfahrungen nutzen: Gestaltungskriterien für
    299 E-Government-Projekte
    300
    301 Etliche neue Verfahren innerhalb öffentlicher Verwaltungen
    302 sowie viele Online-Dienste für Bürger/innen und Firmen sind
    303 sehr erfolgreich. Gerade Behörden, die etwa in den Kommunen
    304 im engen Kontakt mit Bürger/innen stehen, entwickeln oft
    305 gute Ideen in Sachen E-Government. So werden beispielsweise
    306 schon in vielen Städten umfangreiche Online-Portale
    307 angeboten mit selbst entwickelten Leistungen für
    308 verschiedenste Lebenslagen. Diese reichen vom
    309 Kindergarten-Navigator bis zum Online-Wunschkennzeichen.
    310 Diese Ansätze können mit Möglichkeiten für die Nutzer/innen
    311 verknüpft werden, eigene Vorschläge für Applikationen und
    312 Webdienste gemäß des "Crowdsourcing-Prinzips" mit
    313 einzubringen.
    314
    315 Elektronischer Entgeltnachweis
    316
    317 Nicht alle staatlichen E-Government-Projekte sind indes
    318 gleichermaßen erfolgreich. Jüngstes Beispiel für die
    319 mangelnde öffentliche wie auch verwaltungsinterne Akzeptanz
    320 eines IT-Großprojektes ist der Elektronische
    321 Entgeltnachweis, ELENA. Die Einführung dieses Verfahrens
    322 wurde mit dem Ziel, Bürokratie zu mindern und Effizienz zu
    323 steigern, vom Bundesministerium für Wirtschaft und
    324 Technologie unter anderem im Zusammenhang mit der Förderung
    325 von elektronischen Signaturverfahren auf den Weg gebracht.
    326 Der Aufbau des elektronischen Entgeltnachweis-Verfahrens
    327 einschließlich einer Zentralen Speicherstelle benötigte
    328 mehrere hundert Millionen Euro. Es entstand eine zentrale
    329 Datensammlung mit rund 700 Millionen Einträgen, bei der der
    330 Bürger jedoch sein Recht auf Selbstauskunft nicht
    331 verwirklichen konnte. Im Jahr 2010 reichten mehr als 20.000
    332 Bürger/innen eine Sammelklage gegen das ELENA-Verfahren
    333 ein, insbesondere unter dem Aspekt der
    334 Vorratsdatenspeicherung [FN: Siehe:
    335 https://www.foebud.org/datenschutz-buergerrechte/arbeitnehme
    336 rdatenschutz/elena/verfassungsbeschwerde-elena-verfahrensges
    337 etz.pdf/view]. Vor allem kleinere Unternehmen kritisierten
    338 finanzielle Belastungen durch das ELENA-Verfahren; die
    339 Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände wies im
    340 Oktober 2010 darauf hin [FN: Schreiben vom 15.10.2010 der
    341 Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände (des
    342 Deutschen Städtetages, des Deutschen Landkreistages, des
    343 Deutschen Städte- und Gemeindebundes) siehe:
    344 http://governet.de/alotta/user/governet.de/img/000/004/4216.
    345 pdf], dass der erhoffte Bürokratieabbau mittelfristig nicht
    346 eintreten und die finanzielle Belastung der öffentlichen
    347 Haushalte durch das neue Verfahren enorm steigen würde. Im
    348 Herbst 2011 wurde die gesetzliche Regelung zur Aufhebung
    349 von Vorschriften zum Verfahren des elektronischen
    350 Entgeltnachweises verabschiedet und das Projekt
    351 eingestellt.
    352 Im Zusammenhang mit der Einstellung des ELENA-Verfahrens
    353 beschloss das Bundeskabinett ein Folgeprojekt des
    354 Bundesministeriums für Arbeit und Soziales „Optimiertes
    355 Meldeverfahren in der sozialen Sicherung“ (OMS) [FN: Siehe:
    356 https://www.projekt-oms.de/%28S%28im15z1z2k0afgqbp14sydieu%2
    357 9%29/default.aspx]. Regierung und Verwaltung stehen nun vor
    358 der Herausforderung, Kriterien zu definieren, die, unter
    359 Berücksichtigung des Datenschutzes, ein kostentechnisch
    360 vertretbares bürgerfreundliches Verfahren sichern.
    361
    362 Nationale und internationale E-Government-Projekte in der
    363 Praxis
    364
    365 Auch die Einführung EU-weit vernetzten Verwaltungshandelns
    366 im Rahmen des „Einheitlichen Ansprechpartners“ der
    367 EU-Dienstleistungsrichtlinie [FN: ver.di Schriftenreihe
    368 “Innovation + Neue Medien + Beteiligung: Öffentliche
    369 Dienste im Wandel”, Band 5: “Öffentlicher Dienst und die
    370 bundesweite Umsetzung der EU-Dienstleistungrichtlinie”,
    371 Dezember 2008; siehe:
    372 http://www.governet.de/6/viewentry/2659] hat sich als
    373 schwierig erwiesen. Statt der versprochenen Reduzierung der
    374 Bürokratie durch IT brachte das Vorhaben bislang vor allem
    375 deren Ausbau mit sich. Kritik hat auch die VerBIS-Software
    376 für das "Vermittlungs-, Beratungs- und Informationssystem"
    377 der Bundesagentur für Arbeit (BA) und der Job-Center auf
    378 sich gezogen. In Verbindung mit der für jeden über das
    379 Internet zugänglichen Jobbörse konnten zeitweise nicht nur
    380 die Jobvermittler auf sensible persönliche Daten der
    381 Arbeitssuchenden zugreifen, sondern auch Dritte.
    382 Häufig werden IT-Projekte in Kooperation mit privaten
    383 Unternehmen realisiert. Öffentlich-private Partnerschaften
    384 und Outsourcing können jedoch in einem Spannungsverhältnis
    385 zu den Anforderungen an die Selbstverwaltung und
    386 Steuerungsfähigkeit der öffentlichen Hand stehen.
    387 Geschäftsverträge solcher "Public Private Partnerships"
    388 (PPP) sind oft nicht öffentlich zugänglich. Die Transparenz
    389 öffentlichen Handelns zu stärken, ist jedoch eine der
    390 großen Chancen des E-Government.
    391
    392 Lehrreiche Erfahrungen ergaben sich auch im Rahmen eines
    393 E-Government-Projekts in Franken, das unter dem Motto
    394 "Würzburg integriert" lief. Dabei sollte ein Unternehmen
    395 die Verfahrensabläufe der Stadt am Main elektronisch auf
    396 einer zentralen Plattform zusammenführen. So sollte eine
    397 schnellere Bearbeitung von Verwaltungsvorgängen und mehr
    398 Bürgernähe bei gleichzeitiger Kosteneinsparung ermöglicht
    399 werden. Die Zusammenarbeit wurde jedoch mittlerweile
    400 mangels konkreter Einsparmöglichkeiten und wegen
    401 datenschutzrechtlicher Bedenken beendet. Die
    402 Stadtverwaltung will E-Government nun in Eigenregie
    403 durchführen. Die genauen Kosten des gescheiterten Projekts
    404 sind nicht bekannt.
    405
    406