1 | Die Herausforderungen für die Demokratie in der digitalen |
2 | Gesellschaft – neben der Teilhabe – liegen in der |
3 | Ausgestaltung der technischen Gegebenheiten im Internet und |
4 | des Internets. Die Entstehung von digitalen Monopolen, |
5 | Manipulation durch technische Möglichkeiten, sowie eine |
6 | Zensur im Internet müssen diskutiert und abgewendet werden. |
7 | |
8 | Das Internet ist als Netz aus Netzen entstanden. Dies war |
9 | möglich, da Datenpakete innerhalb der Netze, wie auch von |
10 | Netz zu Netz ohne Diskriminierung übertragen wurden und |
11 | werden. So konnten sich immer wieder Innovationen gegenüber |
12 | vorhandenen Strukturen und Angeboten durchsetzen, dies gilt |
13 | es zu bewahren (Siehe Projektgruppe Netzneutralität). |
14 | |
15 | Zensur im Internet gilt es zunächst juristisch zu |
16 | definieren: Das Grundgesetz stellt in Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG |
17 | fest, dass in Deutschland eine Zensur nicht stattfindet. |
18 | Nach der überwiegenden Ansicht in Rechtsprechung (Urteil vom |
19 | 25.04.1972 – 1 BvL 13/67; BVerfGE 33,52 [53]) und Schrifttum |
20 | (vgl. Franke, UFITA 2002, 89 [96] m. w. N.) ist das |
21 | Zensurverbot kein eigenes Grundrecht, sondern eine Grenze |
22 | für mögliche staatliche Grundrechtseinschränkungen |
23 | (Schranken-Schranke). Die ursprüngliche Zielsetzung der |
24 | Verfassungsgeber mit dieser Regelung war der Schutz der |
25 | Presseerzeugnisse vor behördlicher Prüfung und Genehmigung. |
26 | Aufgrund der vergleichbaren Interessen- und Gefährdungslage |
27 | muss es aber auch in entsprechender Anwendung für die heute |
28 | verbreiteten Massenkommunikationsmittel nach Art. 5 Abs. 1 |
29 | S. 2 GG gelten (vgl. Franke, UFITA 2002, 89 [100] m. w. N.). |
30 | |
31 | Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird |
32 | Zensur als Vorschaltung eines präventiven Verfahrens, vor |
33 | dessen Abschluss ein Werk nicht veröffentlicht werden darf, |
34 | verstanden (zuletzt Beschluss des BVerfG vom 20.10.1992 – 1 |
35 | BvR 698/89; BVerfGE 87, 209 [230]). Adressat der Regelung |
36 | ist der Staat, aber auch die sonstigen vom Staat abhängigen |
37 | Träger der öffentlichen Gewalt (vgl. Franke, UFITA 2002, 89 |
38 | [108] m. w. N.). Auf Rechtsverhältnisse zwischen |
39 | Privatpersonen ist das Zensurverbot nicht anwendbar. |
40 | |
41 | Der Regelungsbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG erstreckt |
42 | sich somit lediglich auf die sog. Vor- oder Präventivzensur |
43 | (Urteil vom 25.04.1972 – 1 BvL 13/67; BVerfGE 33,52 [71] m. |
44 | w. N.). Die Nachzensur in Form einer Kontroll- oder |
45 | Repressivmaßnahme fällt ebenfalls nicht in den |
46 | Anwendungsbereich von Art. 5 Abs. 1 S. 3 GG. Sie setzt erst |
47 | nach der Veröffentlichung eines Werkes ein (vgl. Franke, |
48 | UFITA 2002, 89 [104] m. w. N.). Staatliche Kontroll- oder |
49 | Repressivmaßnahmen sind demnach anhand des Schutzbereiches |
50 | von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG und der Schrankenregelung des Art. |
51 | 5 Abs. 2 GG auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. |
52 | |
53 | Allerdings ist auch festzuhalten, dass Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG |
54 | vor dem Hintergrund eines damaligen Presse- und |
55 | Rundfunkbegriffs entwickelt wurde. Das Internet führt in |
56 | diesem Bereich zu zahlreichen Einordnungsproblemen, |
57 | insbesondere mit Blick auf die unterschiedlichen in Art. 5 |
58 | GG genannten Grundrechte, aber auch im Hinblick auf die |
59 | Frage, wann eine Vorzensur vorliegt. |
60 | In einigen Ländern der Welt (z. B. China, Iran, Kuba, |
61 | Myanmar, Weißrussland) wird auch heute noch immer Zensur |
62 | durch die dortigen staatlichen Stellen ausgeübt und |
63 | durchgeführt. Sie erstreckt sich auch auf das Internet (vgl. |
64 | S. 4 Freedom on the Net 2011, A global assessment of |
65 | Internet and Digital Media vom 18. April 2011). Der sog. |
66 | arabische Frühling in Ägypten und Tunesien hat jedoch auch |
67 | gezeigt, dass das Internet trotz vorhandener totalitärer |
68 | Regime als Mittel zum Umgehen einer staatlichen Zensur |
69 | verwendet werden kann. |
70 | |
71 | Ein staatliches oder privates Verändern oder Unterdrücken |
72 | einzelner Inhalte ist technisch relativ einfach und |
73 | effizient möglich. [FN: Vgl.: Dragan Espeschied, Alvar C.H. |
74 | Freude: insert_coin – Verborgene Mechanismen und |
75 | Machtstrukturen im freisten Medium von allen; Stuttgart, |
76 | 2001; online verfügbar unter http://odem.org/insert_coin/ |
77 | (abgerufen am 11. Januar 2012)] Zwar ist aufgrund der |
78 | Architektur des Internets auch eine Umgehung von |
79 | Zensur-Techniken einfach möglich: eine unkontrollierte |
80 | Verbindung (dies kann beispielsweise auch über eine |
81 | Modem-Verbindung ins Ausland erfolgen) reicht für den |
82 | Zugriff auf das gesamte Internet aus. Für die meisten |
83 | Menschen ist dies aber unpraktikabel und wird vor allem dann |
84 | genutzt, wenn es ihnen besonders wichtig erscheint. Mehr |
85 | praktische Bedeutung haben aufgrund der einfacheren |
86 | Bedienung (anonyme) Proxy-Server [FN: |
87 | http://de.wikipedia.org/wiki/Proxy_(Rechnernetz)] und |
88 | dedizierte Anonymisierungsdienste wie beispielsweise Tor |
89 | [FN: https://www.torproject.org/] und i2p [FN: |
90 | http://www.i2p2.de/]. |
91 | |
92 | Sowohl der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für |
93 | das Recht auf Meinungsfreiheit Frank La Rue in seinem |
94 | Bericht vom 16. Mai 2011 (Report of the Special Rapporteur |
95 | on the promotion and protection of the right to freedom of |
96 | opinion and expression, A/HRC/17/27) als auch die G8-Staaten |
97 | haben in ihrer Abschlusserklärung des Gipfels in Deauville, |
98 | Frankreich vom 26.05/27.05.2011 (G8 Declaration renewed |
99 | Commitment for Freedom and Democracy) noch einmal diese |
100 | besondere freiheitliche Funktion des Internets hervorgehoben |
101 | und als besonders schützenswert angesehen. |
102 | |
103 | Neben der dargestellten „klassischen Zensur“ kann es auch |
104 | aus anderen Gründen zum Löschen von Inhalten im Internet |
105 | kommen. Die Gründe hierfür sind allerdings äußerst |
106 | vielseitig. Verstoßen eingestellte Inhalte gegen |
107 | strafrechtliche Vorschriften so sind sie von den |
108 | Diensteanbietern und Host-Providern zu löschen. In der |
109 | Praxis kommt es zudem vor, dass Diensteanbieter oftmals |
110 | unsicher sind, ob sie Inhalte zu löschen haben. Viele |
111 | entscheiden sich in solchen Fällen für eine Löschung, weil |
112 | sie ansonsten befürchten, im Falle einer Nicht-Löschung |
113 | verantwortlich gemacht zu werden. |
114 | |
115 | Aber auch Online-Zeitungen oder Blogs haben die Möglichkeit, |
116 | das Veröffentlichen von Inhalten zu verzögern oder zu |
117 | blockieren. Wenn diese ehrabschneidend oder beleidigend |
118 | sind, kommen sie damit ihren gesetzlichen Verpflichtungen |
119 | nach, da sie ansonsten auf dem Zivilrechtsweg von |
120 | Geschädigten auf Unterlassung in Anspruch genommen werden |
121 | könnten (vgl. BGH Urteil v. 25.10.2011 – Az.: VI ZR 93/10). |
122 | Hiervon losgelöst zu betrachten, ist die von manchen Nutzern |
123 | als bevormundend empfundene Moderation von Diskussionsformen |
124 | und vergleichbaren Angeboten im Sinne der "Netiquette". |
125 | Anbieter von Suchmaschinen unterliegen als Diensteanbieter |
126 | ebenfalls den bereits erwähnten rechtlichen Verpflichtungen. |
127 | Bei ihnen wird jedoch darüber hinaus diskutiert, ob sie auch |
128 | zu einer neutralen Darstellung der Ergebnisse einer |
129 | Suchanfrage verpflichtet sind (Suchmaschinenneutralität). |
130 | Dies ist für Nutzer, Inhalte- und Diensteanbieter bedeutsam |
131 | und hat nicht zuletzt auch wettbewerbsrechtliche Gründe |
132 | ("inhaltliche Netzneutralität", vgl. hierzu PG |
133 | Netzneutralität). |
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01.04.05 Digitale Monopole, Manipulation und Zensur (Originalversion)
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