01.03.02 Formen digitaler Vernetzung, Kollaboration und Partizipation

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    von EnqueteSekretariat, angelegt
    1 Die Entwicklung des Internets zum sogenannten "Web 2.0" war
    2 sowohl ein technologischer, als auch ein kultureller Wandel
    3 der aktiven Einbeziehung und offenen Vernetzung aller Nutzer
    4 in sozialen Medien. [FN: Davis, I. (2005), "Talis, Web 2.0
    5 and All That",
    6 http://blog.iandavis.com/2005/07/04/talis-web-2-0-and-all-th
    7 at/; O'Reilly, T., J. Battelle (2009), "Web Squared. Web 2.0
    8 Five Years On",
    9 http://www.web2summit.com/web2009/public/schedule/detail/101
    10 94.] Diese soziale Vernetzung birgt eine kommunikative
    11 Macht, [FN: Castells, M. (2009), Communication Power,
    12 Oxford.] die direkt politisch relevant werden kann (Bsp.
    13 Demokratiebewegung in Tunesien und Ägypten). Jedenfalls
    14 prägen die neuen sozialen Formen digitaler
    15 Gemeinschaftsbildung, Kollaboration und Partizipation die
    16 künftige Gestalt unserer Gesellschaft mit und so auch eine
    17 digital vernetzte Demokratie.
    18
    19 Soziale Medien schaffen digitale Gemeinschaften. Soziale
    20 Interaktionen erzeugen immer auch Konflikte zwischen den
    21 persönlichen Zielen und Erwartungen des Einzelnen und
    22 anderen Individuen oder der Gruppe. Jedes digitale System,
    23 dass eine Plattform zur Gemeinschaftsbildung erschafft, muss
    24 diese Konflikteregeln und sich entsprechend konstituieren.
    25 Die Software schreibt so der jeweiligen Gemeinschaft eine
    26 normative Verfassung ein. [FN: Shirky, C. (2003), "Social
    27 Software and the Politics of Groups",
    28 http://www.shirky.com/writings/group_politics.html;
    29 O'Reilly, T. (2004), "The Architecture of Participation",
    30 http://www.oreillynet.com/lpt/a/5994.] Diese Verfasstheiten
    31 sozialer Medien können auch digitale politische
    32 Öffentlichkeiten prägen und beeinflussen (dazu unter 5).
    33 Soziale Netzwerke (Bsp. Facebook) legen so etwa zur
    34 Gemeinschaftsbildung ein Soziogramm des digitalen
    35 Beziehungsgeflechts (Social graph) einer Person oder Gruppe
    36 offen.[FN: Fitzpatrick, B. (2007), "Thoughts on the Social
    37 Graph", http://bradfitz.com/social-graph-problem/;
    38 Zuckerberg, M. (2007), "Opening Facebook f8 Developer
    39 Conference",
    40 http://www.facebook.com/press/releases.php?p=3102.] Neben
    41 problematischen Fragen des Schutzes der Privatsphäre und der
    42 Rechte an diesem Beziehungsgeflecht, [FN: Vgl. den Bericht
    43 der PG 'Datenschutz' und unten Kapitel 5 'Strukturwandel der
    44 Öffentlichkeit'.] könnte diese Technik aber auch für mehr
    45 Transparenz in politischen Gemeinschaften und Institutionen
    46 (Bsp. Beziehungsnetze von Politikern) sorgen.
    47
    48 Die digitale Gemeinschaftsnutzung von Daten (Sharing) kann
    49 sich ohne Reibungsverluste als kreatives Potenzial auch im
    50 Rahmen von Meinungsbildungsprozessen erweisen. [FN: Hardin,
    51 G. (1968), "The Tragedy of the Commons", 162 Science 1243;
    52 Bricklin, D. (2000), "The Cornucopia of the Commons",
    53 http://www.bricklin.com/cornucopia.htm.] Ein besonderes
    54 Element digitaler Vernetzung besteht in neuen Formen
    55 kollektiver Zusammenarbeit (Collaboration) (Näheres dazu
    56 wird in der Projektgruppe Wirtschaft, Arbeit, Green IT
    57 ausgeführt). Soziale Medien schaffen dazu digitale
    58 Strukturen sozialer Organisation und kollektiver
    59 Intelligenz. [FN: Shirky, C. (2008), Here Comes Everybody.
    60 The Power of Organizing Without Organizations, London.]
    61 Kollaborative Formen lassen sich in der politischen
    62 Kommunikation gut zur Ideenfindung oder gemeinsamen
    63 Ausarbeitung eines politischen Konzeptes integrieren.
    64
    65 Nach dem populären Gedanken der "Weisheit der Massen"
    66 (Wisdom of Crowds) sollen dabei Entscheidungen, die durch
    67 Aggregation von Informationen und Meinungen in einem
    68 Netzwerk entstehen, regelmäßig besser sein, als die
    69 Lösungsansätze einzelner Mitglieder [FN: Surowiecki, J.
    70 (2004), The Wisdom of Crowds, London.]. Aber nicht jede
    71 digitale Masse ist zwangsläufig weise und nicht jede
    72 Problemstellung ist auch für diesen Ansatz geeignet (vgl.
    73 Surowiecki, Die Weisheit der Vielen, 2007, S. 342). Hinzu
    74 kommt, dass beispielsweise die Anzahl von Entscheidungen
    75 anderer Personen Einfluss auf das Verhalten haben kann oder
    76 auch, dass vertraute Lösungen bevorzugt werden, wenn sich
    77 die Teilnehmer zu sehr aneinander orientieren (vgl.
    78 Easley/Kleinberg, Networks, Crowds an Market, 2010).
    79 Voraussetzungen für eine solide kollektive
    80 Entscheidungsfindung können daher die Vielfalt und
    81 Unabhängigkeit von Meinungen sowie ein möglichst neutraler
    82 Mechanismus der Meinungsbildung durch die Modularisierung
    83 von Entscheidungen sein. Eine Modularisierung kann durch
    84 ähnliche Anreize zur Teilnahme und durch eine Infrastruktur
    85 zur Förderung eines gemeinsamen Problemverständnisses
    86 erreicht werden. (vgl. Massachusetts Institute of Technology
    87 (MIT) (2011), "Handbook of Collective Intelligence",
    88 http://scripts.mit.edu/~cci/HCI/).
    89
    90 Für kollektive Entscheidungsprozesse entstanden spezielle
    91 digitale Partizipationssysteme. Digitale politische
    92 Entscheidungsplattformen werden dabei oft unter der Idee
    93 "liquid democracy" vorgestellt (Bsp. Adhocracy). [FN: Allen,
    94 M. (2011), "Outcast voting network",
    95 http://zelea.com/project/outcast/_overview.xht; Liquid
    96 Democracy e.V. (2011), "Adhocracy",
    97 http://wiki.liqd.net/Adhocracy; .] Nutzer können etwa
    98 Vorschläge oder Anträge einstellen, die dann von anderen
    99 Nutzern kommentiert und abgestimmt werden können. Die
    100 Beteiligung an der Entscheidung kann durch diverse
    101 Mechanismen erfolgen. Entscheidungen sind durch synchrone
    102 oder asynchrone Abstimmung, gezieltes Abfragen (Polling) der
    103 Nutzer oder quantifizierter Bewertung nach einer gegebenen
    104 Skala (Rating) möglich. Die Visualisierung von Daten und
    105 Ergebnissen motiviert und erleichtert die Beteiligung,
    106 könnte aber auch eine manipulative Auswirkung auf die
    107 Entscheidungsfindung zur Folge haben.
    108 Einige Systeme lassen zusätzlich eine Delegation von Stimmen
    109 für einzelne oder ganze Segmente von Entscheidungen [FN:
    110 folgt] und auch Delegationsketten [FN: Allen, M. (2011),
    111 "The Structuring of Power and the Composition of Norms by
    112 Communicative Assent",
    113 http://zelea.com/project/votorola/d/theory.xht.] zu. Der
    114 pragmatischen Notwendigkeit von Delegationen, wenn eine
    115 regelmäßige Beteiligung an institutionellen Entscheidungen
    116 (Bsp. Parteipositionen oder direkte parlamentarische
    117 Beteiligung) erreicht werden soll, treten allerdings
    118 demokratische Bedenken angesichts ihrer meist nur schwachen
    119 Legitimation entgegen (siehe unten 2.4).
    120
    121 Eine Grundfrage jeder digitalen Gemeinschaft, Kollaboration
    122 oder Partizipation ist die Gestaltung des gemeinsamen
    123 Diskursraumes durch deliberative Normen. Transparenz und
    124 eine Meta-Ebene des Diskurses über die Regeln des Diskurses
    125 tragen zur Akzeptanz und Legitimation dieser Regeln bei.
    126 Solche klaren Rahmenregeln sind nicht nur für explizite
    127 Debattenplattformen essentiell, sondern auch die
    128 Lebensfähigkeit von Kollaborationen (Bsp. Wikipedia) hängt
    129 entscheidend von einer vitalen Diskursivität ihrer
    130 Koordination ab. [FN: Viégas, F. B., M. Wattenberg, et al.
    131 (2007), Talk Before You Type: Coordination in Wikipedia,
    132 Hawaii International Conference on System Sciences.] Eine
    133 zusätzliche Moderation von Beiträgen kann dabei helfen,
    134 Debatten zu fokussieren. Gerade in der Anwendung für
    135 politische Debatten scheint eine Aufbereitung der
    136 Informationen, Verknüpfung mit weiteren relevanten Beiträgen
    137 und Strukturierung für eine sachorientierte Diskussion
    138 hilfreich. Moderation birgt aber auch die Gefahr der
    139 Manipulation. In sozialen Medien werden alternativ oder
    140 ergänzend Techniken wie Reputationssysteme oder wiederum ein
    141 Ranking durch Bewertungen der Nutzer verwendet.