01.02.03 Chancen und Herausforderungen einer digital vernetzten Demokratie

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  • 01.02.03 Chancen und Herausforderungen einer digital vernetzten Demokratie (Originalversion)

    von EnqueteSekretariat, angelegt
    1 *Papier der Projektgruppe als Grundlage der weiteren
    2 Diskussion, Verfasser: FDP-Fraktion; Arbeitsstand nach der
    3 Sitzung vom 24. Oktober 2011 und anschließender
    4 Referentenrunde. Änderungen und Ergänzungen können sich aus
    5 der Projektgruppensitzung am 7. November oder später
    6 ergeben.*
    7
    8 Trotz abnehmender Wahlbeteiligung besteht großes Interesse
    9 an Beteiligung bei konkreten Entscheidungen. In einer
    10 Umfrage (Fußnote: Dimap im Auftrag von „Offene Staatskunst.
    11 Bessere Politik durch ‘Open Government‘?. Internet &
    12 Gesellschaft Co:llaboratory. Oktober 2010, S. 81-86) von
    13 September 2010 sind 71 Prozent der Befragten davon
    14 überzeugt, der Staat solle die Bürgerinnen und Bürger
    15 stärker einbeziehen. Die Einbeziehung über das Internet
    16 stärkt laut zwei Drittel der Befragten die Demokratie. Die
    17 digitale Vernetzung mit besseren Informations- und
    18 einfacheren Kontaktmöglichkeiten für Bürgerinnen und Bürger
    19 kann dazu beitragen, das politische Interesse und das
    20 bürgerschaftliche Engagement bei politischen und
    21 gesellschaftlichen Entscheidungen zu steigern. Beispiele
    22 sind elektronische Massenpetitionen, bei denen sich tausende
    23 Bürgerinnen und Bürger online beteiligen, oder auch
    24 Plattformen, die einen direkten Zugang zu den vielfältigen
    25 Angeboten für bürgerschaftliches Engagement bieten (Fußnote:
    26 Vgl. z.B. das Online-Angebot des Bundesfreiwilligendienstes
    27 (www.bundesfreiwilligendienst.de)). Die Akzeptanz für
    28 demokratisch herbeigeführte politische Entscheidungen kann
    29 ebenfalls wachsen, da der Entscheidungsprozess durch die
    30 Möglichkeiten des Internet nachvollziehbarer werden kann.
    31
    32 Politikverdrossenheit entsteht zum Beispiel durch zu wenig
    33 Transparenz und fehlenden Dialog. Das Internet bietet hier
    34 Raum für neue Möglichkeiten der Information, der Diskussion
    35 und der direkten Einflussnahme. So beschreitet die
    36 Enquête-Kommission erstmals den Weg eines
    37 Online-Beteiligungswerkzeugs „Adhocracy“. Die
    38 Beteiligungsplattform enquetebeteiligung.de ermöglicht eine
    39 Kommentierung und Ergänzung bzw. Änderungen von Texten, die
    40 in der Kommission entstanden sind und diskutiert werden. In
    41 diesem Rahmen wird erstmals auf parlamentarischer Ebene
    42 Potentiale von Internet und Digitalisierung ausgelotet, um
    43 Partizipation zu ermöglichen und zu fördern. Durch solche
    44 Mittel kann die Demokratie bereichert werden, indem eine
    45 neue, organisierte Teilhabekultur in der digital vernetzten
    46 Welt gefördert wird. Ihr Erfolg setzt jedoch auch voraus,
    47 dass sie zahlreich in Anspruch genommen werden und nicht nur
    48 Instrumente von einigen wenigen bleiben.
    49
    50 Das Internet bietet neue Möglichkeiten, Bürgerinnen und
    51 Bürger an der Politik zu beteiligen. Nicht nur die jüngere
    52 Generation kann durch die digitale Vernetzung für
    53 demokratische Verfahren sensibilisiert werden. Die
    54 Internetnutzung deutscher Bürger ab 14 Jahren liegt laut
    55 einer BITKOM-Umfrage bei etwa 72 Prozent. Der Anteil der
    56 Internetnutzer ist umso höher, je jünger die Bürger sind. 95
    57 Prozent der 14-29-Jährigen sind online, 30-49-Jährige nutzen
    58 das Internet zu 89 Prozent. Die Internetnutzung der
    59 14-49-Jährigen nähert sich damit der
    60 Bevölkerungsrepräsentativität immer mehr an. Internetnutzer
    61 können mit abstimmen, online Petitionen einreichen und in
    62 Foren mit diskutieren. Je besser die Zugangsmöglichkeiten
    63 zum Internet für die Menschen werden, desto deutlicher
    64 werden die Auswirkungen des Internets auf demokratische
    65 Prozesse zu Tage treten. Unabhängig von den technischen
    66 Voraussetzungen müssen die Menschen auch daran interessiert
    67 sein, demokratische Prozesse zu beeinflussen und Teil dieser
    68 sein zu wollen. Die Politik muss also auch das Interesse der
    69 Bevölkerung wecken und aufrechterhalten, sich zu beteiligen.
    70
    71 Eine große Chance der digital vernetzten Demokratie ist vor
    72 allem die Möglichkeit mit dem Bürger in den Dialog zu
    73 treten. Während die klassischen Medien Informationen bereit
    74 stellen, bietet das Internet zahlreiche
    75 Kommunikationsplattformen, wo ein Austausch von
    76 Informationen und Meinungen stattfinden kann. Doch nicht nur
    77 die Teilhabemöglichkeiten können sich verbessern, sondern
    78 auch die Transparenz. Unterlagen, Vorgänge und Sitzungen des
    79 Deutschen Bundestages und anderen politischen Institutionen
    80 können zu einem großen Teil schon heute online eingesehen
    81 und der politische Entscheidungsprozess kann mit verfolgt
    82 und nachvollzogen werden.
    83
    84 Das Internet ermöglicht darüber hinaus jedem Einzelnen
    85 vielfältige Kommunikationsmöglichkeiten. Wo vorher
    86 hauptsächlich klassische Medien zur Meinungsäußerung und
    87 Berichterstattung genutzt wurden, tritt nun das Internet als
    88 weitere Plattform auf. Der Staat und jeder einzelne Bürger
    89 kann sich durch eigene Webseiten, Chatrooms, Foren etc.
    90 präsentieren und erklären. Wir erleben hier eine neue
    91 demokratische Vielfalt der Meinungsbildung. Durch das
    92 Internet kann jeder selbst zum „Medium“, also selbst zum
    93 Mittler von Informationen werden: Die klassische
    94 One-to-many-Kommunikation wird von der modernen
    95 many-to-many-Kommunikation abgelöst. Das ist das
    96 grundlegende Element der globalen digitalen Vernetzung.
    97 Neben die klassische one-to-many-Kommunikation, die in der
    98 Vergangenheit regelmäßig nur wenigen, kapitalkräftigen
    99 Medienunternehmen vorbehalten war, tritt eine
    100 anyone-to-many- bzw. eine many-to-many-Kommunikation.
    101 Massenkommunikation ist auch realiter eine
    102 Jedermann-Freiheit. Im Internet haben auch solche
    103 (politischen) Akteure eine Chance zur Artikulation, denen
    104 solche Möglichkeiten bislang verwehrt waren. Das Internet
    105 ist gegenüber traditionellen Massenmedien durch ein deutlich
    106 höheres Maß an „Durchlässigkeit“ zwischen den Ebenen der
    107 klassischen Massenmedien und den Rezipienten gekennzeichnet.
    108 So verweisen etwa Weblogs durch Links auf die Websites
    109 traditioneller Medien und umgekehrt richten auch
    110 reichweitenstarke Anbieter ihre Aufmerksamkeit auf das Web
    111 2.0. Hierdurch entsteht ein kommunikatives Wechselspiel
    112 zwischen den klassischen Medien und der sich kommunikativ
    113 betätigenden „Bürgergesellschaft“, das das strenge
    114 „Gatekeeping“ beim Zugang der massenmedialen Öffentlichkeit
    115 entfallen lässt[. Die die herkömmliche Medienwelt prägenden
    116 starren Grenzen zwischen Medien und Nutzern werden im
    117 Internet zunehmend durchlässiger. Neben die durch klassische
    118 Medien verfassten Öffentlichkeiten
    119 („Medienöffentlichkeiten“) treten „Gegenöffentlichkeiten“,
    120 die auf der kommunikativen Partizipation des Einzelnen und
    121 anderer Akteure beruhen und welche die Bedeutung sowie die
    122 Machtfülle der klassischen Medien relativieren (vgl. hierzu
    123 Kapitel 5 sowie PG "Kultur, Medien, Öffentlichkeit").
    124
    125 Eine digital vernetzte Demokratie kennt neue Möglichkeiten
    126 der Beschaffung, Bereitstellung und Verbreitung von
    127 Informationen. Auch über die reine Information hinaus,
    128 bietet das Internet neue Chancen. Es können sich neue
    129 Gemeinschaften bilden oder organisieren und ihre auch sonst
    130 weniger stark berücksichtigte Interessen aktiv in die
    131 öffentliche und politische Diskussion einbringen.