| 1 | Demokratie beinhaltet die gleiche politische Freiheit aller |
| 2 | an der kollektiven Meinungsbildung und Entscheidungsfindung. |
| 3 | Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland bekennt sich |
| 4 | zum Demokratieprinzip und damit zum Grundsatz der |
| 5 | Volkssouveränität (Art. 20 Abs. 2 GG). Auch Demokratie ist |
| 6 | eine Herrschaftsform, Regierte und Regierende sind nicht |
| 7 | identisch, die Regierenden bedürfen aber einer Legitimation |
| 8 | in einem Verfahren öffentlicher Meinungs- und |
| 9 | Willensbildung, die den Anforderungen der Freiheit nach den |
| 10 | Maßstäben des Grundgesetzes genügt. Dies wird in erster |
| 11 | Linie – aber keineswegs ausschließlich – durch Wahlen und |
| 12 | Abstimmungen sichergestellt. Schon an dieser Stelle werfen |
| 13 | die Entwicklungen im Internet grundsätzliche Fragen auf: |
| 14 | Verändern oder vergrößern sich die Bereiche, in denen es |
| 15 | keiner repräsentativen Vertretung bedarf, weil die |
| 16 | Bürgerinnen und Bürger in diesen Bereichen ihre |
| 17 | Angelegenheiten nun selbst ordnen können? Welche neuen |
| 18 | Aufgaben stellen sich dem Staat beim Aufbau öffentlicher |
| 19 | virtueller Räume? Ermöglicht das Internet neue Formen der |
| 20 | Legitimations-Vermittlung jenseits von Wahlen und |
| 21 | Abstimmungen? Auch mit Blick auf die Kommunikationsordnung |
| 22 | stellen sich Fragen: Werden die Grundrechte wie |
| 23 | Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Kommunikationsfreiheit |
| 24 | gestärkt oder geschwächt? Wo hat die Digitalisierung zu |
| 25 | mehr, wo zu weniger demokratischer Teilhabe geführt? Wo hat |
| 26 | sie bestehende demokratische Verfahren gestärkt, wo |
| 27 | geschwächt? Welchen Gefährdungen gilt es zu begegnen, welche |
| 28 | Chancen zu ergreifen? [FN: Mit den Fragen, etwa welche Rolle |
| 29 | Vermachtungen im Bereich der Intermediaire hier spielen |
| 30 | können, setzt sich die Projektgruppe Medienordnung |
| 31 | auseinander.] |
| 32 | |
| 33 | Unter dem Stichwort der „Partizipation“ wird auch die |
| 34 | direkte Teilnahme an Entscheidungen der Staatsgewalten und |
| 35 | ihren Entscheidungsprozessen durch Bürgerinnen und Bürger |
| 36 | bezeichnet. Traditionelle Instrumente sind |
| 37 | Bürgerinitiativen, Bürgerbegehren (Volksbegehren) und |
| 38 | Bürgerentscheide (Volksentscheide). Auf Bundesebene sind die |
| 39 | Möglichkeiten für solche unmittelbaren Entscheidungsprozesse |
| 40 | verfassungsrechtlich eng begrenzt. Einige |
| 41 | Länderverfassungen räumen jedoch sowohl den Ländern als auch |
| 42 | den Kommunen größere Spielräume ein, (etwa Art. 72 f. bei |
| 43 | BayLV). Welche neuen Möglichkeiten der Partizipation |
| 44 | ermöglicht die Internet-basierte Kommunikation und |
| 45 | Interaktion im Rahmen solcher unmittelbarer |
| 46 | Beteiligungsformen? |
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| 48 | Eine Herrschaft des Volkes verdient nur diesen Namen, wenn |
| 49 | sich jeder Adressat des Rechts auch als dessen Autor |
| 50 | verstehen kann. Eine digital vernetzte Demokratie |
| 51 | ermöglicht die Erweiterung der Ausübung von |
| 52 | Volkssouveränität durch eine stärkere substantielle |
| 53 | Verknüpfung politischer Institutionen mit dem öffentlichen |
| 54 | Prozess politischer Willensbildung. |
| 55 | |
| 56 | Eine solche Offenheit der Demokratie meint nicht vereinzelte |
| 57 | formale Partizipation (wie etwa in Volksentscheiden), |
| 58 | sondern eine beständige inhaltliche Öffnung des politischen |
| 59 | Prozesses an sich. In einer digital vernetzten Demokratie |
| 60 | wirken sich dabei Umstände wie das technische Design einer |
| 61 | digitalen Plattform und ihre inhaltliche Architektur unter |
| 62 | Umständen unmittelbar auf Art und Umfang der Beteiligung |
| 63 | aus. |
| 64 | |
| 65 | Als Teil des Souveräns hat jeder Bürger ein Recht auf |
| 66 | Rechtfertigung jeder institutionellen politischen Handlung. |
| 67 | Demokratische Legitimation fordert offenen Zugang und |
| 68 | Beteiligung am genuin politischen Prozess des Abwägens von |
| 69 | Positionen und Gründen (Deliberation). Pflichten zur |
| 70 | politischen Offenheit und Begründung (Transparenz) der |
| 71 | Legislative, Exekutive und Judikative ermöglichen eine |
| 72 | substantielle öffentliche Debatte. In dieser bietet sich |
| 73 | Raum für vielfältige und differenzierte politische |
| 74 | Positionen. |
| 75 | |
| 76 | Die während der Beratungen nachvollziehbare, Abwägung von |
| 77 | Gründen vor und wäh-rend der Entscheidung erhöht dabei nicht |
| 78 | nur die Identifikation des Einzelnen mit dem Staat sondern |
| 79 | steigert zugleich auch die Legitimität der Entscheidungen. |
| 80 | Eine digital vernetzte Demokratie kann zu einer solchen |
| 81 | höheren Legitimität der Entscheidungen führen. wenn sie die |
| 82 | folgenden Fragen klärt: |
| 83 | Wie können die digitalen Technologien mehr Transparenz und |
| 84 | Offenheit der politischen Institutionen und der Prozesse |
| 85 | politischer Deliberation befördern? Welche neuen Formen |
| 86 | substantieller Beteiligung an der Arbeit politischer |
| 87 | Institutionen sind möglich und wie lässt sich deren |
| 88 | Responsivität für öffentliche Kritik auf allen Stufen des |
| 89 | politischen Prozesses erhöhen? Was für neue politische |
| 90 | Öffentlichkeiten entstehen und wie lassen sich deren |
| 91 | Potentiale für den Prozess der politischen Willensbildung |
| 92 | nutzen? Wie können digitale Technologien die politische |
| 93 | Vielfalt steigern und soziale Inklusion ermöglichen? |
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01.01.01 Legitimation und Partizipation (Originalversion)
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